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Land-Lauschen

Die Würde des Menschen
ist antastbar

Der Tod kommt unerwartet, auch wenn genug Zeit blieb, um sich auf ihn vorzubereiten. Zwei Jahre hat er sich Zeit gelassen. Zwei Jahre sind eine lange Zeit für ein Kind, das gerade in die Schule gekommen ist, als seine Mutter schwer erkrankt. Und zwei Jahre Schmerzen und Leiden sind eine viel zu lange Zeit für die Mutter, die gern noch geblieben wäre. Bei ihrem Mann, ihren beiden Töchtern. Aber der Tod fragt nicht nach Sehnsucht, nach Liebe, nach Hoffnung. Beate Rincks Mutter starb an Krebs. Da war das Mädchen gerade mal acht Jahre alt. Vielleicht ist deswegen der Übergang vom Leben zum Tod ihr Thema. Ein Thema, das die meisten Menschen lieber verdrängen.
Hier erzählt Beate Rinck, Initiatorin des Fördervereins Hospiz Wagrien-Fehmarn e.V., warum der Tod ihr ebenso nah ist wie das Leben.

Die Unfassbarkeit des Todes

„Das Sterben begleitet mich schon seit meiner Kindheit in Niedersachsen. Als ich sechs Jahre alt war, erkrankte meine Mutter an Krebs. Ich erinnere mich noch genau an die Besuche im Krankenhaus, zwei Mal die Woche. Es gehörte zu meinem Alltag dazu, dass ich meine Mutter am Mittwoch und am Samstag oder Sonntag mit meinem Vater im Krankenhaus besuchte. Ich erinnere mich noch an das Krankenzimmer und den Blick auf hohe Bäume in denen Krähen wohnten. Es ist sehr lange her, aber ich habe fest daran geglaubt, dass meine Mutter wieder gesund wird. Etwas anderes ist für ein Kind dieses Alters ja auch nicht vorstellbar. Erst einige Tage bevor sie tatsächlich starb, klärte mich eine gute Bekannte der Familie auf Wunsch meines Vaters auf. Ich erinnere mich, dass ich sehr zornig auf die Frau war und ihr kein Wort geglaubt habe. Auch bei niemand anderen fragte ich nach, ob stimmt, was sie mir erzählte. Die Antwort wollte ich wohl nicht hören. Meine Mutter verstarb im Krankenhaus, ihr Bett war neben einen Schreibtisch im Arztzimmer geschoben, dort habe ich sie noch einmal gesehen.
Unsere Mutter unwiederbringlich verloren zu haben, war für mich und meine ältere Schwester nur schwer zu überwinden. Der Kummer über den Verlust der Mutter blieb, auch nachdem mein Vater sich – wohl auch aus ganz praktischen Erwägungen heraus – rasch wiederverheiratete.
Als ich 16 war, verstarb auch er völlig unerwartet nach einem Herzinfarkt. Diese beiden frühen Todesfälle haben sicher mein ganzes Leben geprägt. Aber das ist mir erst viel später bewusst geworden.“

Was ist richtig?

Der Tod und das Sterben haben Beate Rincks spätere berufliche Entwicklung beeinflusst. An der Medizinischen Hochschule in Hannover (MHH) machte sie ihre Ausbildung zur Krankenschwester und blieb dort bis 1989 im Dienst. Die letzten sechs der insgesamt zehn Jahre arbeitete sie als Pflegekraft in der Transplantationsmedizin. Eine intensivmedizinische Abteilung, in der es sprichwörtlich um Leben und Tod geht. Um Hoffnung. Und um die Fragen: Welchen Wert hat ein Leben? Wird das neue Herz abgestoßen? Erhält ein Patient ein passendes Spenderorgan, das ihm noch Jahre qualitätvollen Lebens schenken kann? Oder stirbt er oder sie auf der Warteliste?
Sie weiß um die inneren Konflikte, die das Team tragen muss. Und auch die Ärzte, die sich dem Eid des Hippokrates verpflichtet fühlen. Der besagt unter anderem, … Meine Verordnungen werde ich treffen zu Nutz und Frommen der Kranken, nach bestem Vermögen und Urteil; ich werde sie bewahren vor Schaden und willkürlichem Unrecht … Im Klinikalltag aber können Ärzte nicht allein das Wohl, den Nutz und das Frommen im Blick behalten, die Forschung und auch ein gewisser betriebswirtschaftlicher Druck hält sie mitunter dazu an, Entscheidungen zu treffen, die zeitweise scheinbar weder der Würde, noch der Menschlichkeit dienen – speziell im Umgang mit Sterbenden. Das ergibt sich aus den intensivmedizinischen Möglichkeiten, die in einem Transplantationsbereich voll genutzt werden, das wurde auch mit den Patienten und Angehörigen vorher besprochen.

Schwierige Entscheidungen

Anfangs habe ich mich intensiv fortgebildet und das neue Wissen in die Arbeit mit den schwerkranken Patienten eingebracht. Mit den Jahren wurde die Arbeit dort, wie bei allen KollegInnen, zu einer hohen emotionalen Belastung. Das eigentlich Belastende war nicht der Tod nach einer schweren Abstoßung oder anderen Komplikationen. Es war vielmehr das Leiden, dass einige PatientInnen z. B. im Verlauf durchlebten. Eine Universitätsklinik ist neben der Patientenversorgung in einem hohen Maße an Forschung interessiert. Da erschien es mir manchmal, als wären die Überlebensraten, also reine Statistik, wichtiger als die Würde der Betroffenen. Das konnte schon einmal ethischen Auseinandersetzungen zwischen den Berufsgruppen führen.
Für die Pflegekräfte waren einige ärztliche Entscheidungen schwierig zu bewältigen oder nachzuvollziehen, da sie zumeist während der ganze Dienstschicht mit den Patienten verbrachten und so die die Nöte der PatientInnen dichter erlebten.“

Neubeginn in Ostholstein

Ende der 80er Jahre erfolgte eine berufliche Veränderung , weil Beate Rinck und ihr Mann von Niedersachsen nach Schleswig-Holstein zogen. Sie arbeitete vertretungsweise in der ambulanten Pflege, gab Pflegekurse für das Rote Kreuz, um dann – bis nach der Geburt der Tochter – an die Krankenpflegeschule in Oldenburg zu wechseln. Sie wechselte dann als Pflegedienstleitung ins Management des damaligen Kreiskrankenhauses, das  2005 vom Sana-Konzern übernommen wurde. Ihr Anliegen für ihre Pflegeteams blieb aber immer der achtsame Umgang mit den PatientInnen.

Ethik und Ökonomie – ein Widerspruch?

„Es schloss sich eine Weiterbildung zur Ethikberaterin im Gesundheitswesen an. Als Ehtikberaterin beschäftigt man sich intensiv mit den Rahmenbedingungen, die mit den Lebensschwellen verbunden sind, wie z. B. Geburt und Tod. Ethikberaterinnen können Ethikkomitees etablieren und leiten, ethische Fallbesprechungen für Teams, Patientinnen und Angehörige durchführen.  
Es war Teil meiner Tätigkeit, alle ethischen Handlungsanweisungen für die Krankenpflege mitzuschreiben, die jetzt u.a. in den Sana-Kliniken auf Fehmarn oder in Eutin angewendet werden. Darin steht beispielsweise, dass Sterbende einen Anspruch auf ein Einzelzimmer haben und ihnen eine würdevolle, gepflegte Atmosphäre zu ermöglichen ist.
Soweit die Theorie. In der Praxis gestaltete sich das manchmal schwierig speziell bei hoher Belegung der Klinik. Ein Beispiel: Bei der Planung eines Neubaus mit mehreren Stationen stellte ich fest, dass es keine Einzelzimmer gab. Wo also sollten Sterbende würdevoll untergebracht sein oder wie sollten z. B. infizierte Patienten isoliert werden?  Würde man in den Doppelzimmern in der letzten Lebensphase eines Betroffenen ein Bett sperren, würde eine Belegung fehlen – mit anderen Worten: es wäre aus Sicht von Ökonomen nicht voll genutzt.
Den Pflegeteams war es ebenso wie mir sehr wichtig, dass Sterbende am Ende des Lebens allein oder mit ihren Angehörigen sein konnten. Pflegende haben ein ausgeprägtes Gespür dafür, wenn es um ethische Grenzfälle und gegen die Würde der Patienten geht. Mitarbeiterinnen formulierten in diesen Zusammenhängen auch häufig den Wunsch, dass es wichtig sei, ein Hospiz in der Region zu haben. In diesen Situationen nahm ich mir vor, mich zu einem späteren Zeitpunkt um eine Einrichtung zu kümmern, in der Menschen ein gutes Ende erleben dürfen. Nun ist es soweit. Und das ist gut so.“

Nachsatz: Beate Rinck schied 2016 aus dem Krankenhausdienst aus. Sie ist die Initiatorin und Gründerin des Fördervereins Wagrien-Fehmarn. https://www.hospiz-ostholstein.de/

Mehr zu den Plänen für ein Hospiz in Ostholstein findet ihr hier:

https://www.strandkorb-gefluester.de/2020/05/30/hospiz-den-tagen-mehr-leben-geben/

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Strandkorb-Geflüster

Hospiz: Den Tagen mehr Leben geben …

Als Pflegekraft und spätere Pflegedienstleiterin war Beate Rinck mit vielen Situationen konfrontiert, in denen es um das Lebensende von Menschen im Krankenhaus ging. (Mehr dazu findet ihr in dem Protokoll Die Würde des Menschen ist antastbar: https://www.strandkorb-gefluester.de/2020/05/30/die-wuerde-des-menschen-ist-antastbar/?preview=true&_thumbnail_id=973)

Ihre langjährigen Erfahrungen waren für sie Anlass, sich für die Gründung eines Hospizes im ländlich geprägten Ostholstein einzusetzen. Unterstützt durch die AktivRegion Wagrien-Fehmarn e. V. (https://ar-wf.de/home.html) gestaltete sie Arbeitskreise, in denen Mitdenker das Konzept festzurrten. Ein Jahr später wurde der Förderverein Hospiz Wagrien-Fehmarn e.V. (https://www.hospiz-ostholstein.de/) gegründet. Seither ist die Heringsdorferin in der Region unterwegs, um für ihr Anliegen zu werben. Warum sie das macht, hat sie mir beim gemeinsamen Strandkorb-Geflüster http://www.strandkorb-gefluester.de erzählt.

Beate Rinck wirbt auch in Vorträgen für die Anliegen des Fördervereins Hospiz Wagrien-Fehmarn. Das Sterben ist für manche Zuhörer ein heikles Thema, auf das sie mit Unsicherheit reagieren. Sie sagt dann meistens: „Keine Sorgen, man stirbt nicht schneller, nur weil man über den Tod spricht.“ Schon redet es sich leichter.
Liebe Beate, du machst dich für die Gründung eines Hospizes in Ostholstein stark. Was unterscheidet ein Hospiz von der Palliativstation eines Krankenhauses?

Zunächst einmal ist die Palliativstation einer Klinik eine ganz normale Station in einem Krankenhaus, also können das auch Mehrbettzimmer sein. Allerdings ist diese Abteilung personell besser aufgestellt, und die pflegerische und medizinische Versorgung ist intensiver als auf den anderen Stationen. Alle Ärzte und das Pflegepersonal haben eine palliative Zusatzausbildung. Eine palliative Behandlung im Krankenhaus bedeutet , dass dort Patienten untergebracht sind, die mit Schmerzmedikamenten versorgt  und mit ihren Symptomen eingestellt werden und mit ihrer Erkrankung durchaus noch ein, zwei Jahre leben können. Andere Patienten sind dort in den letzten Tagen oder Wochen bis zu ihrem Lebensende. Ein würdiges Ende ist dem Behandlungsteam sehr wichtig.

Und was ist das Besondere an einem Hospiz?

Die letzte Sterbephase ist ein intimer Vorgang, der von den Menschen am Lebensende sehr unterschiedlich erlebt wird, es geht um Ängste, um Sorge um die Zurückbleibenden, aber auch dem Bedürfnis nach Ruhe, Erlösung und manchmal auch noch um Klärung von Ungesagtem. Oft sind die allerletzten Tage gekennzeichnet von einem hohen Schlafbedürfnis. Anders als im Krankenhaus unterstützt ein sehr persönlich gestalteter und geschützter Rahmen Sterbende darin, ihre Emotionen ausleben zu dürfen und sich vom Leben zu lösen.

Wie muss ich mir das genau vorstellen?

Im Gegensatz zum Krankenhaus bezeichne ich ein Hospiz gern als eine Art schönes Gesundheits-Hotel für Menschen in der allerletzten Lebensphase. Da dürfen persönliche Bilder an den Wänden sein, viel Farbe und Pflanzen. Dort darf gegebenenfalls sogar der geliebte Hund oder die Katze zu Besuch kommen. Vor allem aber können die Angehörigen auf Wunsch mit im Zimmer schlafen oder in einem Gästezimmer. Kurz gesagt: In einem Hospiz geht fast alles. Es ist zwar ein Ort zum Sterben, an dem das Leben aber nicht aufhört, mit allem was dazu gehört: die Angst und Tränen, aber auch die Fröhlichkeit und Freude über die Blumen oder die Enkelkinder, die zu Besuch kommen.

Das klingt beinahe so, als wäre es wie zu Hause …

Ja, zu Hause sterben zu dürfen, wünschen sich die meisten Menschen. Doch dieser Wunsch geht nur für wenige in Erfüllung. Denn je nach Schwere der Erkrankung stehen viele Fragen im Raum: Gibt es jemanden, der mich versorgen kann? Ist der Partner emotional stabil genug, um diesen manchmal schweren Weg mitzugehen? Kann ich von den Aufgaben ablassen, die im gewohnten häuslichen Umfeld zu besseren Zeiten auf mich gewartet haben? Denn bei manchen Menschen verhindert allein ein Blick in den Garten, in dem die Stauden jetzt unbedingt noch beschnitten werden müssten, das notwendige Zur-Ruhe-kommen, dass man zum Loslassen braucht. Das Unerledigte kann zur Belastung werden. Und auch die Sorge um die geliebten Menschen, die man zurücklassen muss. Im Hospiz erfahren die sterbenden Gäste aber, dass wir uns nicht nur für sie, sondern uns auch um ihre Angehörigen kümmern, auch über den Tod hinaus.

Es kommt nicht darauf an, dem Leben mehr Tage zu geben,
sondern den Tagen mehr Leben

Das Credo des Fördervereins Hospiz Ostholstein – ein Zitat von Cicely Saunders, der Begründerin der Hospizbewegung
Wie wird die Betreuung im Hospiz gewährleistet?

Die Versorgung wird von den Mitarbeitenden mit einer palliativpflegerischen Zusatzausbildung übernommen. Unterstützt werden diese von Sozialarbeit, Physiotherapie und Servicepersonal. Die ärztliche Versorgung erfolgt durch Hausärzte und Palliativmediziner. Nach ihren individuellen Behandlungsplänen orientieren sich die Pflegenden. Bei Bedarf werden ärztliche Visiten durchgeführt, eine ständige ärztliche Anwesenheit wie in Krankenhäusern ist in Hospizen aber nicht üblich. Ein ganz wichtiger Baustein sind die ehrenamtlichen Helfer und Unterstützer, ohne die die den sterbenden Menschen zugewandte Arbeit kaum zu leisten ist.

Was macht nach deiner Erfahrung den Menschen das Sterben leichter?

Schmerzfreiheit und Freiheit von quälenden Symptomen wie Angst, Luftnot oder Erbrechen. Die Lieblingsmusik. Ein Blick ins Grüne. Die Gesellschaft geliebter Menschen oder ihrer Tiere. Wohlige Kindheitserinnerungen, die als Wunsch wiederkehren, etwa nach einem Stück Erdbeerkuchen. Das Beibehalten von kleinen Ritualen – und sei es der Eierlikör am Vormittag um 11 Uhr. Ein Leitsatz der Palliativmedizin lautet: „Der Sterbende ist der Dirigent“. Also werden seine Wünsche erfüllt – auch wenn die Gäste den Kuchen dann doch nicht aufessen können oder eigentlich nur einmal am Gläschen schnuppern wollen.

Der Sterbende ist der Dirigent

Ein Leitsatz der Palliativmedizin
Um Sterbenden das zu ermöglichen, sammelt euer Förderverein Spenden. Wofür genau benötigt ihr das Geld?

Insgesamt werden ca. 4 Millionen Euro benötigt, wobei 25 Prozent bestenfalls über Fördermittel des Landes SHchleswig-Holstein übernommen werden. Der restliche Betrag muss über Spenden und Kredite finanziert werden. Von daher ist jeder Cent ein Baustein für das Hospiz.

Wo soll euer „Gesundheits-Hotel zum Lebensende“ denn entstehen?

Im östlichen Teil Holsteins sind bisher sind stationäre Hospize in Kiel und Lübeck zu finden. Die ländliche Region in Wagrien und auf der Insel Fehmarn, der Bereich bis Plön und nach Süden bis Neustadt sind also komplett unterversorgt. Wir wünschen uns einen Standort, der gut erreichbar ist und haben, auch in Absprache mit dem Sozialministerium, Oldenburg in Holstein in den Fokus genommen. Dort haben wir aktuell ein Grundstück in Aussicht, das ideale Voraussetzungen bietet. Es liegt am Stadtrand von Oldenburg und wäre perfekt geeignet. Es wäre groß genug, um zehn bis zwölf Gästezimmer mit Terrasse und Angehörigenapartments zu bauen und bietet einen wunderbaren Ausblick über die Wiesen. Wäre das nicht wunderbar?!

Mehr Infos zum Förderverein und Möglichkeiten zur ehrenamtlichen Mitarbeit

https://www.hospiz-ostholstein.de/

Ihr möchtet spenden?

Förderverein Hospiz Wagrien-Fehmarn e.V.

Sparkasse Ostholstein
IBAN: DE92 2135 2240 0179 2254 95
BIC: NOLADE21HOL

Volksbank Ostholstein Nord-Plön eG
IBAN: DE65 2139 0008 0000 2998 12
BIC: GENODEF1NSH

Weitere Angebote zum Hospizdienst in Ostholstein

Beistand am Lebensende, https://www.beistand-am-lebensende.de

Hospizinitiative Eutin e.V., http://hospizinitiative-eutin.org

Hospizverein Preetz e.V., https://hospizverein-preetz.de/

Hospizverein Lütjenburg e.V., https://hospizverein-luetjenburg.de

Elisabeth Krankenhaus Eutin, https://www.sek-eutin.de

SAPV im östlichen Holstein, http://sapv.online

Palliatvnetz im östlichen Holstein e.V., http://www.palliativnetz-östliches-holstein.de

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Reise-Geflüster

Reise nach Ulten:
Ein Tal voller Schätze

Das Ultental ist meine Berg-Heimat. Ich bin gleich mehrere Male dort gewesen. Und so manches Mal hat mich der Fotograf Peter von Felbert begleitet, von dem die meisten Fotos auf dieser Seite stammen (https://felbert.de).

Mysthisch: der Zoggeler Stausee (Foto: Claudia Reshöft)

Wer ins Ultental reist, landet in eine Sackgasse. Womöglich ist das der Grund dafür, dass dieser beschauliche Flecken in Südtirol sich seine Ursprünglichkeit bewahrt hat. Im Osten steigen mit Lärchen bewaldete Felswände steil auf. Im Westen schmiegen sich jahrhundertealte Höfe und Häuser an sonnige Hänge. In der Mitte sammelt sich das Wasser des Flusses Falschauer im türkisfarbenen Zoggler Stausee, der 1995 ein Dutzend der einst schönsten und ältesten Ultener Höfe unter sich begrub.

Noch heute wird die vom Massentourismus verschonte Region geprägt von kleinbäuerlicher Kultur und von der Liebe der Menschen zu ihrem Land. Denn was sie verbindet, ist die Besinnung auf althergebrachte Traditionen, der nachhaltige Umgang mit natürlichen Ressourcen, und der achtsame Genuss.

Auf Sisis Spuren

Am Eingang des Tals, etwa elf Kilometer südwestlich von Meran, liegt das Dorf St. Pankraz. Unser Weg führt ins drei Kilometer entfernte Mitterbad, das Anfang des 19. Jahrhunderts wegen seiner eisen- und magnesiumhaltigen Heilquellen zu den bekanntesten Bädern im deutschsprachigen Raum gehörte. Zu den prominenten Gästen zählten Reichskanzler Otto von Bismarck, Kaiserin Elisabeth von Österreich, die Brüder Heinrich und Thomas Mann. Letztgenannter beendete hier seinen Roman über die Buddenbrooks. Von der einstigen Pracht ist aber nichts übriggeblieben. Seit 1919 wechselten mehrfach die Besitzer, was dazu führte, dass das Badehaus und sämtliche Nebengebäude mittlerweile komplett verfallen sind. Dennoch lohnt sich ein Abstecher durch die stille, wildromantische Bergwelt bis zur Quelle im Marauntal.

Es ist Zeit für einen kleinen Mittagsimbiss auf dem Raffeinhof, gut zwei Kilometer oberhalb von St. Walburg. Was in dem gemütlichen, kleinen Buschenschank aufgetischt wird, stammt ausschließlich aus eigener Produktion: die Butter, das Fleisch, der der Speck – und die sensationellen Dinkel-Brotklee-Nocken.

Alles Gute kommt aus Ulten

In St. Walburg pulsiert im Eggwirt (www.eggwirt.it) das Herz des Dorfes. Hier versammeln sich Einheimische zu Bier und Wein. Kein Wunder, denn hier geht es so urig zu wie vor 600 Jahren – eine so lange Tradition hat der Eggwirt, der einst als Thingstätte diente. Die originale „Eckstube“ von 1611 wirkt so gemütlich, dass man am liebsten gar nicht mehr aufstehen mag. Erst recht nicht nach der Terrine vom Ultner Ziegenkäse mit feinem Gselchten vom heimischen Rind auf einem Salatbett.

In der Backstube Ultner Brot

Im Haus gleich nebenan wird früh aufgestanden. Richard Schwienbacher knetet in der Backstube den Teig für Vollkornbrote aus selbst angesetztem Sauerteig. Denn was in der Bäckerei Ultner Brot (www.ultnerbrot.it) in den Ofen kommt, wird nach guter alter Handwerkstradition aus naturbelassenen Zutaten hergestellt. Bestes biologisches Getreide wie Weizen, Roggen, Dinkel und Kamut wird kurz vor dem Verarbeiten in der eigenen Steinmühle gemahlen. Dazu kommt reines Quellwasser aus den Ultner Bergen, gewürzt wird mit mineralstoffreichem Steinkristallsalz. Oder, wie beim traditionellen Ultner Brot zusätzlich noch mit Fenchel, Kümmel und Brotklee.

Gegen alles ist ein Kraut gewachsen

In St. Walburg ist der Hofladen Kräuterreich Wegleit zu finden, in dem sie die ursprünglichsten Produkte der Region anbietet: selbst hergestellte Cremes und Salben, sowie Kräutertees für jede Befindlichkeit und Laune. Wer mehr über die Naturlebensschule von Waltraud Schwienbacher (https://www.strandkorb-gefluester.de/2020/04/07/die-frau-die-ein-ganzes-tal-veraendert-hat/) erfahren möchte, dem sei eines ihrer Seminare (www.kraeuterreich.com) empfohlen.

In Kuppelwies betreibt das Label Bergauf (bergauf.it) einen Showroom. Dort wird nach streng nachhaltigen Kriterien Wolle von Ultner Bergschafe zu Wohnaccessoires, Teppichen, Matratzen und Bekleidung verarbeitet.

Gutes zum Mitnehmen

Was man aus den Zweigen von Lärche, Weide und Haselstrauch machen kann, zeigt der Bauer und Korbflechter Erhard Paris von der Moritzhöhe. Er flicht mit Engelsgeduld und Fingerfertigkeit Körbe und Dekorationsobjekte auf so meisterliche Weise, dass der Bozener Star-Designer Matteo Thun auf ihn aufmerksam wurde.

Ein paar Kilometer weiter bergan geht’s auf den Bio-Hof Unterschweig. Dort stellen Anna und Alois Berger hocharomatischen, würzigen Bergkäse her. Anna Berger würzt ihre Laibe mit Kräutern wie Oregano, Bockshornklee, Goldmelisse oder Kornblumen von den eigenen Kräuterterrassen. Ich entscheide mich für den „Blütenzauber“, setze mich aufs nächste Bänkchen, packe das Ultner Schüttelbrot aus und gönne mir eine wohlverdiente Jause. Und mit einem Mal fühlen wir uns dem Himmel ganz nah.

Kontakt

Raffeinhof: E-Mail raffeinhof@gmail.com

Erhard Paris: Mobil: +39 339 1713897.

Biohof Unterschweig: unterschweig@brennercom.net

Hotel-Tipps

 Lässig-familiär und höchst komfortabel: Hotel Waltershof, www.waltershof.it

Gesundheitsbewusste Genießerküche: Hotel Unterpichl, www.unterpichl.it

Kreativ und nachhaltig: Hotel Schweigl, http://www.hotelschweigl.it

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Imker aus Leidenschaft

Max Voß‘ Beuten auf dem Hof in Cismarfelde

Es ist endlich wärmer geworden an diesem Sonntag, ein paar Tage nach den Eisheiligen. Und Max Voß ist ein bisschen spät dran mit seiner Arbeit, wie er von den Kollegen gehört hat. „Wir hatten ja einen sonnig-warmen April und Mai und die Rapsblüte ist früh in diesem Jahr. Meine Imkerfreunde haben die erste Tracht schon geschleudert, nun muss das also losgehen“, sagt er, zieht seine blaue Arbeitsjacke an und marschiert von seinem Wohnhaus rüber zum Hof. In der Scheune streift er seine Schutzkleidung über die blaue Arbeitsjacke, schnappt sich sein Arbeitsgerät. Dann schaut er nach seinen Bienen. Denn bevor es ans Honigschleudern geht, wird in der „guten Stube“ der Immen erstmal aufgeräumt.

Jetzt, wo das Futterangebot reicher und es draußen wärmer wird, geraten die Bienen ins Schwärmen, denn im Bienenstock ist es durch die nachwachsende Generation eng geworden. Sogenannte Ammenbienen, die bisher mit der Pflege und Aufzucht der Brut beschäftigt waren, beginnen nun extra große Zellen zu bauen, die sogenannten Weiselzellen, aus denen neue Königinnen schlüpfen werden. „Sind die erst einmal da, folgen sie ihrem Schwarmtrieb und nehmen die Hälfte des Bienenvolkes mit sich“, sagt Max. Und weil er an seinen Tieren hängt, kann er das keinesfalls zulassen.

Die Tiere, das Draußensein sind ein Teil seiner selbst

Max Voß prüft den Wassergehalt des Nektars mit einem Refraktometer, mit dem auch der Öchslegrad von Wein bestimmt wird

Max Voß ist in seinem langen Leben schon vieles gewesen: Landwirt, Besamer, Feuerwehrmann, Mitstreiter beim Erhalt des historischen Klosters Cismar, Klosterjäger und sogar ein König, genauer gesagt: Schützenkönig beim Bürgervogelschießen der Freiwilligen Feuerwehr Cismar. Kurz: ein Mann jener Generation, die ohne Zögern anpackt, weil das „Wir“ und der Zusammenhalt an erster Stelle stehen. Zwei Dörfer weiter, in Manhagenerfelde (Gemeinde Lensahn), ist er als Sohn eines Kolonialwarenhändlers großgeworden. Aus Liebe zu seiner Frau Erika heiratete er, ein gelernter Landwirt, auf einen landwirtschaftlichen Betrieb in Cismarfelde ein. Doch in den 1970er Jahren reichten die 35 Hektar Acker und Weideland für das Milchvieh nicht mehr aus, um rentabel zu sein. Das Vieh wurde aufgegeben, das Land verpachtet. Also war Max 40 Jahre lang als Besamer unterwegs in der Region. Mit dem Sperma, das Zuchtbullen gespendet hatten, sorgte er für den Nachwuchs auf den ostholsteinischen Milchbetrieben, weshalb die Rinderbauern ihn scherzhaft den Beinamen „Rucksackbulle“ gaben. Neben Beruf und Ehrenamt nahm er sich noch Zeit für die Tiere, „zum Ausgleich“ wie er sagt.

Wunderwerk Wabe: Bienen „verständigen sich über engsten Körperkontakt

Doch die waren um vieles kleiner als die Rinder. Anfangs züchtete Max Hühner, dann Tauben – bis allergische Reaktionen der Geflügelleidenschaft ein Ende bereiteten. Aber wenn man mit der Natur aufgewachsen ist, dann wird sie Teil von einem selbst, ein Leben lang. Auch bei Max hörte das Sehnen nicht auf: nach eigenen Tieren, nach dem Draußensein. Also verlegte er sich aufs Imkern, so wie sein Vater, der 1942 im Krieg sein Leben verlor, da war Max gerade mal fünf Jahre alt. Und nun steht er selbst mit seinen 83 Jahren hier auf dem Hof der Schwiegereltern, vor seinen Bienen, mit denen er seine lebenslange Passion als Landwirt ausleben kann. Seit er über die nützlichen Insekten wacht, nennt er sich mit einer Mischung aus Stolz und Ironie „Massentierhalter“, denn in seinen neun Bienenstöcken leben insgesamt 360.000 der nützlichen Insekten auf allerengstem Raum.

Ein Fehler und alles ist zunichte

„Landwirtschaft ist wie eine Sucht“, sagt er. „Man arbeitet über das ganze Jahr auf den Ertrag hin. Macht man nur einen groben Fehler, gibt es keinen Ertrag.“ Einer dieser Fehler könnte das bei Imkern gefürchtete Schwärmen sein. Deshalb untersucht Max akribisch jede einzelne Kiste, Zarge genannt. Solch eine Zarge wiegt an die 25 Kilo, schätzt Max, gefühlt ist sie aber deutlich schwerer – an die 30 Kilo nehme ich an. Ich kann sie jedenfalls um keinen Zentimeter anheben. Und auch Max kann sie mittlerweile nicht mehr herumwuchten, zu viele Jahre harter Arbeit lasten auf seinen Schultern. Aber Timo Stark kann das, der ewig hilfsbereite Nachbar, ein kräftiger junger Mann. „Ein Glück, dass ich ihn habe“, sagt Max.

Timo Stark (rechts) ist mittlerweile Max Voß‘ wichtigste Stütze und macht seinem Namen alle Ehre

Max öffnet den Deckel, zieht nacheinander die einzelnen Waben heraus und begutachtet die einzelnen Zellen. „Alles okay“, sagt er. Deckel drauf, Timo hievt die Zarge beiseite. So geht es fort, bis zur übernächsten Kiste, die beiden machen nicht viele Worte. „Guck mal hier, hier ist eine Weiselzelle. Die breche ich jetzt raus“, sagt Max beinahe schuldbewusst, greift aber entschlossen zum Beitel und knipst die Weiselzelle weg.

Bienen nützen heißt, sie schützen

Goldgräberstimmung: Ist der Wachsdeckel erst abgeschabt, kann der Honig aus den Waben fließen

Für Max sind Bienen faszinierende Tiere. „Wie die sich organisieren, das ist schon ein Wunder“, sagt er. Aber ihm geht es, wie jedem anderen Imker auch, um einen möglichst reichen Ertrag. Das Schwärmen eines halben Volkes wäre da schwer zu verkraften. Schmerzhafter ist nur der massenhafte Verlust durch einen Schädling, der die Beute heimsucht: die Varroamilbe. Das ist ein aus Ostasien eingeschleppter Parasit, der die Bienen und ihre Brut auf vielfältige Weise schwächt. „Die nisten sich mit Vorliebe in Drohnenzellen ein“, weiß Max. Deshalb muss er auch dem männlichen Nachwuchs zu Leibe rücken. Wieder zieht er eine Wabe heraus. Deutlich stehen die mit Wachs verdeckelten Zellen hervor, denn die Larven der Männchen sind deutlich größer als die der Weibchen. Beherzt bricht Max den größten Teil heraus. „Ein paar muss ich schon im Stock belassen“, sagt er, „denn ohne Drohnen gäbe es keinen Nachwuchs, und ohne Nachwuchs keinen Honig.“

Fast einen halben Tag bringen Max und Timo mit dem „Säubern“ des Bienenstocks zu. Dann ist es genug für heute. Jetzt geht’s für Max erst einmal nach Hause zu seiner Frau Erika. Pause machen, ausruhen und Kraft schöpfen für den nächsten Tag. Dann werden die prall mit flüssiger Süßigkeit gefüllten Waben geschleudert, für den ersten Honig der Saison.

Info Wer in den Genuss von Max Voß‘ Rapshonig kommen will, muss sich sputen. Der Haustürverkauf startet etwa am 10. Juni 2020 in Cismarfelde 1, 23743 Grömitz-Cismar.
Öffnungszeiten Gibt’s nicht. Der Hausherr meint: „Einfach klingeln! Wenn keiner da ist, dann habt ihr Pech gehabt.“

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Raps: Das Gold Ostholsteins

Heute wollen die Wolken über dem Ostseeferienland einfach nicht weichen. Hartnäckig raubt eine geschlossene Decke dem Grün der Landschaft seine Strahlkraft. Das Gelb des Rapsfelds leuchtet sogar bei dieser trüben Stimmung, aber der betörende Blütenduft, der einen bei einem Spaziergang in sonniger Wärme ganz beschwipst machen kann, kitzelt nur noch als feiner Hauch die Nase.

Oke Steensen bei der Kontrolle seines Rapsfeldes

Auch Oke Steensens sonst strahlendes Gesicht ist bewölkt. Er streift durch den Raps, knipst hier und da eine Blüte ab und pult sie mit den Fingernägeln auseinander. „Da, da ist schon wieder einer“, sagt er. „Das ist ein Kohlschotenrüssler, der legt seine Eier in den Schoten ab. Daraus entstehen Larven, die den Schotenansatz auffressen.Wenn dann noch die Kohlschotenmücke dazukommt, müssen wir mit Ernteausfällen rechnen. Da hilft nur noch hoffen, dass alles gut geht, denn um Pflanzenschutzmittel auszubringen, ist es jetzt zu spät.“

Eine Weide für Bienen und andere Insekten

Die sich goldgelb im beständigen Wind der Ostsee wiegenden Rapsfelder sehen aus wie ein Frühsommermärchen. In diesem blühenden Mikrokosmos tummeln sich Hunderttausende Bienen, die hier den Nektar für die erste Tracht des Jahres sammeln. Zwischen diesen nützlichen Insekten, die nur zum Naschen vorbeischauen, lassen sich an der kohlartigen Pflanze aber einige Schädlinge dauerhaft nieder, etwa der Rapsstängelrüssler, der Kohltriebrüssler und eben auch die Kohlschotenmücke und der Kohlschotenrüssler. Sie finden in den langen Stängeln oder Schoten ideale Brutstuben für ihre Larven. Vor allem der Rapsglanzkäfer, der die Blüten abfrisst, kann zu Totalausfällen führen, weshalb ökologisch angebauter Raps (laut Ökolandbau) mit 0,2 Prozent Anteil an der gesamten deutschen Rapsanbaufläche eine Ausnahmeerscheinung ist. 

Ob sich ein möglicher Ernteschaden in Grenzen halten wird? Das wird sich erst in ein paar Wochen zeigen. Zwar neigt sich in diesen Tagen die Rapsblüte dem Ende zu, doch erst im Juli werden die ausgereiften Schoten gedroschen. Und dann fallen wieder einige Zentner Saat ab, aus der flüssiges Gold aus Ostholstein gewonnen wird.

Gesundes aus der Flasche

Blüte, Korn und Rapskuchen

Zuhause, auf Steensens Bauernhof, hält Oke Milchvieh. Für die Rinder ist Raps energiereiches Futter. Aus den Körnern lässt sich aber auch ein ernährungsphysiologisch wertvolles Öl gewinnen. Einige Zentner Rapssaat aus der letzten Ernte hat Oke Steensen noch von Nachbarn ergattern können. Die hängen in einem großen Sack im oberen Geschoss des alten Speichers und rieseln von dort direkt in die Ölpresse. Auf der einen Seite fließt kalt gepresstes Öl, auf der anderen Seite fallen die festen Bestandteile als pelletförmiger Rapskuchen in die Schubkarre, um als eiweißreiches Kraftfutter in den Trögen der Milchkühe zu landen.

„Sieht das nicht herrlich aus?!“, sagt Oke, während er zusammen mit seiner Frau Eike das sonnengelbe Rapsöl in Flaschen abfüllt. Das sieht nicht nur herrlich aus, es schmeckt auch so und ist zudem gesund. Es enthält das antioxidativ wirkende Vitamin E und liefert eine optimale Balance von Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren, die dabei helfen, einen zu hohen Spiegel an schädlichem LDL-Cholesterin im Blut zu senken.

Das Schönste daran aber ist, dass jeder Esslöffel einem die Wartezeit auf die Rapsblüte im nächsten Jahr verkürzt.

* Das gute Rapsöl bekommt ihr im Regiomaten von Steensens Bauernhof (www.steensens-bauernhof.de), Cismarfelde 16,
23743 Grömitz-Cismar

Rapsöl: Vom Leuchtmittel zum Küchenliebling

Ursprünglich stammt die Ölpflanze aus dem östlichen Mittelmeerraum. Angeblich war sie schon bei den alten Römern bekannt und wurde zur Gewinnung von Speise-, vor allem aber von Lampenöl verwendet. Hierzulande galt Raps, neben dem artverwandten Rübsen, im 16./17. Jahrhundert als wichtigste Brennstofflieferant für Öllampen. Als Öl in der Küche kam es wegen seines bitteren Geschmacks bestenfalls in Hungerperioden auf den Tisch. Erst ab etwa Mitte der 1970er Jahre kamen Neuzüchtungen auf den Markt, die nur noch geringe Mengen der bitteren Erucasäure enthielten und nahezu frei waren von giftigen Senfölgylkosiden. So konnten die neuen Sorten bedenkenlos als Speiseöl verwendet werden. Raps als nachwachsender Rohstoff ist auch Bestandteil der Biokraftstoffe.

Gut zu wissen

Ob aus Oliven, Leinsaat, Disteln oder Sonnenblumen gepresst – es gibt verschiedene Pflanzenölkategorien. Was die einzelnen Bezeichnung bedeuten

Nativ: Wird aus geschälter oder ungeschälter Saat ohne Wärmezufuhr gewonnen. Bitte nur für die kalte Küche verwenden, da es nicht erhitzt werden darf.

Kalt gepresst: wird aus ausgewählter Saat und besonders schonend hergestellt.

Nicht raffiniert nennt man natives Öl, das zur Erhöhung der Haltbarkeit mit Wasserdampf behandelt wurde.

Raffiniert: Gepresst oder extrahiert mithilfe von chemischen Lösemitteln und Wärmezufuhr. Kann zum höher temperierten Braten und Kochen verwendet werden.

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Hello again!

Jetzt ist der Mai gekommen – und wir machen uns alle wieder ein bisschen locker. Wir dürfen zum Friseur, ins Restaurant und über die Grenzen reisen … aber wir sollen um Himmels willen Abstand halten! Also keine Umarmungen, keine Küsse auf die Wangen. Vorerst jedenfalls. Denn der „Ausnahmezustand“ zeigt immer wieder, dass heute geltende Regeln, morgen schon wieder anders lauten.

Die Umarmungen werden mir also bis auf Weiteres fehlen. Es bleibt nichts außer einem breiten Strahlen, das man hinter der Mund-Nasen-Maske sowieso nicht erkennt, oder ein freundliches Winken aus zwei Metern Abstand – oder?

Vielleicht gibt es Gesten, die ohne Berührungen auskommen? Mit denen wir ausdrücken können, wie nah wir jemandem wirklich stehen? Meine Nichte Marla hätte dazu jedenfalls ein paar Ideen …

„Ich freue mich riesig, dich zu sehen!“

„Du ahnst ja nicht, wie sehr ich dich vermisst habe!“  

Und zum Abschied gibt‘s einen Luftkuss 

Allen anderen flüchtigen Bekannten, wie etwa dem Bürgermeister oder der Bürgermeisterin, begegnen wir mit dem üblichen höflichen Kopfnicken, auch kombinierbar mit einem fröhlichen „Moin!“.

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Von wegen platt …

… natürlich haben wir Berge im Ostseeferienland – aus Seegras. Aber zugegeben: ein paar Böen aus dem Westen und zwei Tage Sonne, dann sind sie wieder verschwunden

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Von frommen Lämmern, Landschaftsgärtnern und Delikatesslieferanten

Der Schweizer Naturforscher Conrad Gesner allerdings hat vor über 460 Jahren in seinem „Thierbuch“ folgendes vermerkt: „Ein Schaf ist ein mildes, einfältiges, demütiges, stilles, gehorsames, furchtsames und närrisches Tier … Wenn eines sich verläuft …, stürzen sich die anderen alle hernach.“ Ich bin überzeugt, man wird den unterschiedlichen Hausschafrassen und -typen, die allesamt vom Armenischen Mufflon abstammen, mit dieser Charakterbeschreibung nicht gerecht. Aber ihr an Schicksalsergebenheit erinnernder Sanftmut erklärt wahrscheinlich, warum die Kirche die Metaphern vom Hirten (dem Pastor) und seiner Herde (der Gemeinde) gebraucht und das Lamm Gottes zum Sinnbild für den alles erduldenden Jesus Christus wurde. Vielleicht fiel es dem Menschen wegen dieser genügsamen Facette so leicht, sich die wolligen Wiederkäuer zunutze zu machen. 

Neben der Wolle, der Milch und dem Fleisch finden Schafprodukte vielfältige Verwendung. Was nach der Schlachtung übrig bleibt, bildet beispielsweise das Rohmaterial für Leime, Kerzen und Seife sowie kosmetische Produkte. Der Darm dient als Wurstpelle und wird zum Bespannen von Tennisschlägern verwendet. Trotzdem gibt es immer weniger Schafe. Bundesweit weiden noch gut 1,6 Millionen der wolligen Nutztiere, in Schleswig-Holstein sind es, nach Angaben des Schaftzuchtverbands, 200.00 Mutterschafe. Dreizehn Jahre zuvor waren es beinahe doppelt so viele. Warum die Schäfer sich von ihren Herden trennen? Weil die extrem zeitraubende Bürokratie ihnen über den Kopf wächst und die Schafhaltung unwirtschaftlich wird. 

Küstenschutz auf vier Beinen

Aber zum Glück prägen die wolligen Paarhufer noch immer das Landschaftsbild zwischen den Meeren. Mit „goldenem Tritt“ trampeln sie die Deiche fest, die der Mensch einst dem Meer abgerungen hat und seither gegen Sturmfluten verteidigt werden müssen. Und den Bewuchs knabbern sie mit ihrem „goldenen Biss“ knapp über den Wurzeln ab. Auf diese Weise bilden sich festere Grasnarben aus, durch die heranflutende Wassermassen nicht so leicht in den Deich eindringen können. Auch Wiesen, Äcker und Kargland halten sie so von Verbuschung frei.

Die lütten Lämmer, die gerade am Deich nördlich von Dahme herumtollen und Bocksprünge vollführen, wissen noch nichts davon, wie unentbehrlich sie sind. Und wir? Wir genießen das große Kino und schauen den „Deichgärtnern“ entzückt bei der Arbeit zu.

Wozu Schafe noch gut sind, findet ihr hier: https://www.strandkorb-gefluester.de/2020/04/07/die-frau-die-ein-ganzes-tal-veraendert-hat/

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Heimat. Das ist jetzt. Hier

Der Politikwissenschaftler Roland Sturm von der Uni Erlangen hat vermutet, es gehe wohl darum, dass der Staat auf bestimmte Dinge aufpasse. Ja, aber worauf soll er denn aufpassen, der Staat? Ich hätte da so ein paar Ideen: Zum Beispiel darauf, dass mich komplett (!) unbekleidet joggende Touristen auf dem idyllischen Feldweg zur Ostsee nicht dazu bringen, schon morgens den Kopf hängen zu lassen, weil ich da einfach nicht hinschauen kann. Das Heimatministerium könnte auch durchfahrenden Autofahrern beibringen, dass Flachmänner und Fast Food-Abfall absolut nix in der Natur zu suchen haben. Ich vermute mal, in Wahrheit soll es darauf auspassen, dass nicht so viele fremde Leute in unser Land kommen, die unsere schöne Kultur und unsere guten Sitten kaputtmachen … 
Ich darf leben, wo andere Urlaub machen wollen. Über mir ein Himmel, der nirgends blauer ist als hier. Darunter die zu jeder Jahreszeit schöne Ostsee. Keine Bettenburg versperrt mir die Sicht, stattdessen kuscheln sich Backsteinhäuser in das Grün. Auf den Feldern machen sich die Bauern bald an die Ernte. Man riecht den Herbst schon, wenn der Raps gedroschen wird. 

Man riecht den Herbst schon,
wenn der Raps gedroschen wird.“ 

Wo ein Fischbrötchen besser schmeckt als Sushi

Meine Heimat riecht nach Ostseeluft, nach Ackererde und Wald. Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, von dem Flecken vertrieben zu werden, an dem man groß geworden ist. Die Landschaft, die Düfte und den Geschmack der Kindheit hinter sich lassen zu müssen – unfreiwillig, aus Not oder blanker Angst. Wie es ist, nach Flucht und Vertreibung an einem nicht vertrauten Ort Wurzeln schlagen zu müssen. 
Laut einer Infratest-dimap-Umfrage ist der Begriff „Heimat“ überwiegend positiv besetzt. Für rund neun von zehn in Deutschland lebenden Menschen ist er eng verknüpft mit einem Ort oder mit „Menschen, die ich liebe oder mag“, andere denken dabei an „Sicherheit und Geborgenheit“. Ich bin nach Jahren aus all diesen Gründen dorthin zurückgekehrt, wo mir ein Fischbrötchen besser schmeckt als Sushi, wo Menschen leben, die ticken wie ich, und wo Schimpfworte, die im Streit aus einem herauswollen, auf Plattdeutsch so milde klingen, dass man sich danach wieder problemlos vertragen kann. Hier fühle ich mich geborgen und kann sein, wie ich bin. 

Die Heimat tragen wir in uns

Das Bundesheimatministerium soll ja tatsächlich wichtige Aufgaben erfüllen. Es will unsere Traditionen bewahren, ererbtes Kulturgut pflegen und dafür sorgen, dass Menschen in ländlichen Regionen nicht abgehängt werden. Staatliches Aufpassen allein wird das aber nicht richten. 
Die Heimat, die tragen wir in uns. Wir alle. Deshalb sollten wir sie gut behandeln – die Orte und Menschen und die Natur, die wir so sehr lieben. Wenn wir den Müll nicht einfach in der Landschaft entsorgen und beim Joggen Schlüpfer anziehen, wäre das doch schon mal ein guter Anfang, oder? 

Warum ich so gern auf dem Land lebe? Deshalb! https://www.strandkorb-gefluester.de/2020/03/20/auf-dem-dorf-wohnt-das-glueck/

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Sturmfreie Bude

Da hinten! Da kommt schon wieder einer dieser Bagaluten, die auf der Promenade mit ihrem Rad fahren. Lars Plön ahndet solche Vergehen auf die ihm eigene Weise. Er raschelt mit der Bonbontüte und ruft, „Kinder, guckt mal, was ich hier habe.“ Begeistert stürmen drei Lütte im Grundschulalter los. Raus aus dem Sand, rauf auf die Promenade, rüber zur Strandkorbvermieterbude. Der Radfahrer bremst, gerät ins Trudeln, steigt ab, und schiebt seinen Drahtesel weiter, als wäre er unverdächtig. Lars lächelt verschmitzt: „Das ist meine Art von Verkehrsberuhigung. Aufregen bringt doch nix“, sagt er norddeutsch gelassen und blinzelt der Sonne entgegen. 

Seinen lachfaltigen Augen, die der 55-Jährige immer wieder von seiner Bude aus über den Nordstrand von Dahme (www.dahme.com) schweifen lässt, entgeht nichts. Kein Verkehrssünder, keine Kinder, die sich leichtsinnigerweise gegenseitig zu tief in den Sand eingebuddelt haben. Selbst das nicht, was sich auf dem Wasser abspielt. So wie vor ein paar Jahren, als ein Mann bei ablandigem Wind mit dem Boot rausgepaddelt und 300 Meter von der Küste entfernt in Seenot geraten war. „Das Ruder war gebrochen, und er trieb immer weiter raus“, erinnert sich Lars. Der schnappte sich sein Surfbrett, glitt über die Wellen und rettete den Schiffbrüchigen an Land. Dessen Familie ist ihm dafür bis heute dankbar und gehört zu seinen treuesten Kunden. 

Lars Plön in seiner Vermiterbude am Nordstrand von Dahme

„Aufregen bringt doch nichts“

Lars Plön

Ein Strandkorb: mehr als pures Sommerglück

Lars ist Lebensretter, Kinderheld und Strandkorbbauer. Letzteres wurde der gelernte Tischler nur aus der Not heraus: „1989 hatte ein kräftiger Sturm mitten im August das Wasser bis zur Promenade hochgetrieben und die Strandkörbe meines Vaters Karl-Heinz zerstört. 80.000 D-Mark Schaden waren da entstanden. Wir hatten also die Wahl: kaufen oder selbermachen. Weil mir die Fabrikware nicht robust genug war, habe ich angefangen, die Körbe selbst zu bauen.“ Seither wird im Sommer vermietet und im Winter restauriert. Oder neu gebaut – mit Schlitzen, Nuten und Zapfen, so wie es sich für solides Handwerk gehört.

Dass Lars nicht nur ein guter Handwerker ist, sondern auch ein einfallsreicher Erfinder, hat sich herumgesprochen. So mancher, dem die mobilen Sonnenschutzhäuschen nicht komfortabel genug erscheinen, lässt sich Luxusausführungen für den heimischen Garten anfertigen. Einen „Ganzlieger“ etwa, bei dem sich die Haube auf 180 Grad absenken lässt, sodass eine ebene Liegewiese entsteht. Wer will, lässt sich von dem Tüftler dazu noch Extras wie schwenkbare Tische und einen Kühlschrank einbauen. Lars stellt sogar Eisbuden her, die wie ein begehbarer Strandkorb aussehen. Oder XXL- und Miniatur- Modelle, in denen es sich die Lütten mit ihrer ersten Sandkastenliebe gemütlich machen können – so wie es Generationen vor ihnen auch schon getan haben. 

Lars‘ Augen entgeht nichts

Ein auf Ostseesteinen gemalter Mini-Lars, der aufpasst, wenn der Chef mal nicht da ist

In Lars’ Vermieterbude stapeln sich Surfbretter für einen Wellenritt, Schlummer- und Relaxkissen für die „sturmfreien Buden“, sowie Fleecedecken, in die man sich bei auffrischendem Wind hineinmummeln kann. „Für meine Gäste nur das Beste“, lautet Lars‘ Devise.
Aus jedem Winkel seiner Bude kann der Strandkorbbauer von Dahme über den Strand blicken. Was er sieht? Sommerglück pur! Männer wie Frauen strecken im Körbchen entspannt alle viere von sich. Lachende Kinder buddeln im Sand oder bemalen Steine, die sie an der Ostsee finden, mit Tieren oder Gesichtern. 

Ein Steinmännchen, das ihm bis aufs Haar gleicht, hat Lars von einem Stammgastkind geschenkt bekommen. Es liegt auf einem Tisch am Eingang seiner Vermieterbude. „So kann sich keiner mehr beschweren, ich wäre nie da, denn einer von uns beiden ist garantiert hier“, schmunzelt Lars.
Wo Lars ist, wenn er mal nicht da ist? Müll aus dem Sand fischen oder den Promenadenverkehr beruhigen, natürlich. Oder auch wieder mal schnell ein Menschenleben retten. 

Übrigens: Auch meinen Strandkorb habe ich von Lars Plön

Kontakt: Wenn die Sonne scheint, ist Lars in seiner Strandkorbvermieterbude am Nordstrand von Dahme http://www.dahme.com, An der Promenade 40 (direkt neben dem Schnitzelparadies Kumluk) zu finden. E-Mail: larsploen@gmx.de

Ein deutsches Original

Das erste Strandkorb-Modell ließ sich angeblich 1882 eine feine, aber von Rheuma geplagte Dame vom Rostocker Hof-Korbmacher Wilhelm Bartelmann anfertigen. Sie wollte das heilende Reizklima der Ostsee genießen, sich aber vor allzu viel Sonne und Wind schützen. Rasch fanden die übrigen Seebäder Gefallen an den praktischen Strandmöbeln. Damit ist es aber, wie in manchen Neubausiedlungen, optisch nicht drüber und drunter geht, sind Standardmaße und -aussehen festgelegt: An der Nordsee sind die Windkabinen 1,60 Meter hoch und haben eine gerade Haube, an der Ostsee sind sie 1,68 m hoch und ducken sich unter einer gewölbten Haube … es sei denn, es ist ein Sondermodell von Lars Plön.