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Raps: Das Gold Ostholsteins

Heute wollen die Wolken über dem Ostseeferienland einfach nicht weichen. Hartnäckig raubt eine geschlossene Decke dem Grün der Landschaft seine Strahlkraft. Das Gelb des Rapsfelds leuchtet sogar bei dieser trüben Stimmung, aber der betörende Blütenduft, der einen bei einem Spaziergang in sonniger Wärme ganz beschwipst machen kann, kitzelt nur noch als feiner Hauch die Nase.

Oke Steensen bei der Kontrolle seines Rapsfeldes

Auch Oke Steensens sonst strahlendes Gesicht ist bewölkt. Er streift durch den Raps, knipst hier und da eine Blüte ab und pult sie mit den Fingernägeln auseinander. „Da, da ist schon wieder einer“, sagt er. „Das ist ein Kohlschotenrüssler, der legt seine Eier in den Schoten ab. Daraus entstehen Larven, die den Schotenansatz auffressen.Wenn dann noch die Kohlschotenmücke dazukommt, müssen wir mit Ernteausfällen rechnen. Da hilft nur noch hoffen, dass alles gut geht, denn um Pflanzenschutzmittel auszubringen, ist es jetzt zu spät.“

Eine Weide für Bienen und andere Insekten

Die sich goldgelb im beständigen Wind der Ostsee wiegenden Rapsfelder sehen aus wie ein Frühsommermärchen. In diesem blühenden Mikrokosmos tummeln sich Hunderttausende Bienen, die hier den Nektar für die erste Tracht des Jahres sammeln. Zwischen diesen nützlichen Insekten, die nur zum Naschen vorbeischauen, lassen sich an der kohlartigen Pflanze aber einige Schädlinge dauerhaft nieder, etwa der Rapsstängelrüssler, der Kohltriebrüssler und eben auch die Kohlschotenmücke und der Kohlschotenrüssler. Sie finden in den langen Stängeln oder Schoten ideale Brutstuben für ihre Larven. Vor allem der Rapsglanzkäfer, der die Blüten abfrisst, kann zu Totalausfällen führen, weshalb ökologisch angebauter Raps (laut Ökolandbau) mit 0,2 Prozent Anteil an der gesamten deutschen Rapsanbaufläche eine Ausnahmeerscheinung ist. 

Ob sich ein möglicher Ernteschaden in Grenzen halten wird? Das wird sich erst in ein paar Wochen zeigen. Zwar neigt sich in diesen Tagen die Rapsblüte dem Ende zu, doch erst im Juli werden die ausgereiften Schoten gedroschen. Und dann fallen wieder einige Zentner Saat ab, aus der flüssiges Gold aus Ostholstein gewonnen wird.

Gesundes aus der Flasche

Blüte, Korn und Rapskuchen

Zuhause, auf Steensens Bauernhof, hält Oke Milchvieh. Für die Rinder ist Raps energiereiches Futter. Aus den Körnern lässt sich aber auch ein ernährungsphysiologisch wertvolles Öl gewinnen. Einige Zentner Rapssaat aus der letzten Ernte hat Oke Steensen noch von Nachbarn ergattern können. Die hängen in einem großen Sack im oberen Geschoss des alten Speichers und rieseln von dort direkt in die Ölpresse. Auf der einen Seite fließt kalt gepresstes Öl, auf der anderen Seite fallen die festen Bestandteile als pelletförmiger Rapskuchen in die Schubkarre, um als eiweißreiches Kraftfutter in den Trögen der Milchkühe zu landen.

„Sieht das nicht herrlich aus?!“, sagt Oke, während er zusammen mit seiner Frau Eike das sonnengelbe Rapsöl in Flaschen abfüllt. Das sieht nicht nur herrlich aus, es schmeckt auch so und ist zudem gesund. Es enthält das antioxidativ wirkende Vitamin E und liefert eine optimale Balance von Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren, die dabei helfen, einen zu hohen Spiegel an schädlichem LDL-Cholesterin im Blut zu senken.

Das Schönste daran aber ist, dass jeder Esslöffel einem die Wartezeit auf die Rapsblüte im nächsten Jahr verkürzt.

* Das gute Rapsöl bekommt ihr im Regiomaten von Steensens Bauernhof (www.steensens-bauernhof.de), Cismarfelde 16,
23743 Grömitz-Cismar

Rapsöl: Vom Leuchtmittel zum Küchenliebling

Ursprünglich stammt die Ölpflanze aus dem östlichen Mittelmeerraum. Angeblich war sie schon bei den alten Römern bekannt und wurde zur Gewinnung von Speise-, vor allem aber von Lampenöl verwendet. Hierzulande galt Raps, neben dem artverwandten Rübsen, im 16./17. Jahrhundert als wichtigste Brennstofflieferant für Öllampen. Als Öl in der Küche kam es wegen seines bitteren Geschmacks bestenfalls in Hungerperioden auf den Tisch. Erst ab etwa Mitte der 1970er Jahre kamen Neuzüchtungen auf den Markt, die nur noch geringe Mengen der bitteren Erucasäure enthielten und nahezu frei waren von giftigen Senfölgylkosiden. So konnten die neuen Sorten bedenkenlos als Speiseöl verwendet werden. Raps als nachwachsender Rohstoff ist auch Bestandteil der Biokraftstoffe.

Gut zu wissen

Ob aus Oliven, Leinsaat, Disteln oder Sonnenblumen gepresst – es gibt verschiedene Pflanzenölkategorien. Was die einzelnen Bezeichnung bedeuten

Nativ: Wird aus geschälter oder ungeschälter Saat ohne Wärmezufuhr gewonnen. Bitte nur für die kalte Küche verwenden, da es nicht erhitzt werden darf.

Kalt gepresst: wird aus ausgewählter Saat und besonders schonend hergestellt.

Nicht raffiniert nennt man natives Öl, das zur Erhöhung der Haltbarkeit mit Wasserdampf behandelt wurde.

Raffiniert: Gepresst oder extrahiert mithilfe von chemischen Lösemitteln und Wärmezufuhr. Kann zum höher temperierten Braten und Kochen verwendet werden.

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Einfach himmlisch, dieses Wolkengestöber!

Endlich sind wieder Wolken zu sehen am bisher meist blankgeputzten Himmel. Für Realisten sind sie oft nicht mehr als Wetterboten. Für mich aber beginnt im Himmelsgestöber das Reich der Poesie.

„Schäfchen“ am Frühlingshimmel

Wenn ich morgens aus dem Fenster schaue, sieht der Himmel jedes Mal anders aus. Jetzt, im Frühling und Sommer, wandern tagsüber meist gemächliche Schäfchenwolken über das endlos scheinende Blau. Im Winter taucht die aufgehende Sonne die Wolken oft glutrot. Nur die weißen Ränder scheinen sich im Spiel des Windes aufzulösen.Schon als Kind habe ich es geliebt, selbstvergessen auf einem Grashalm kauend mitten in einer Wiese zu liegen und einfach nur nach oben zu schauen. Dorthin, wo watteweiche Fantasiefiguren über den Himmel ziehen und wo die Freiheit wohl grenzenlos ist, wie der Liedermacher Reinhard Mey einmal gesungen hat. 

Für die Wissenschaft sind sie nur Nebel …

Die Pforte zur Unendlichkeit ist von Gebilden gesäumt, in denen sich mit ein wenig Fantasie – und wenn man den richtigen Zeitpunkt erwischt – wilde Bären, stattliche Elefanten oder sogar mehrstöckige Geburtstagstorten entdecken lassen. Was für Kinder ein großer Spaß ist und für Erwachsene einer träumerischen Meditation gleicht, kann sich in Windeseile zu Riesen auftürmen. Spätestens dann, wenn sie einen Amboss bilden, sollte man rasch von der Wiese runter und sich in Sicherheit bringen. Denn solche Ungetüme, sogenannte CumulonimbusWolken, kündigen häufig ein krachendes Gewitter an. 

Wolken vor der untergehenden Wintersonne

Rein wissenschaftlich betrachtet sind Wolken nichts anderes als eine Ansammlung von mikroskopisch feinen Wassertröpfchen oder Eiskristallen in der Atmosphäre. Ihre weiße Farbe verdanken sie der Lichtstreuung. Experten haben sie in unterschiedliche Stockwerke aufgeteilt. Im erdnahen Geschoss, in etwa 1,5 bis 2 Kilometer Höhe, ziehen die schweren Cumulus-Wolken vorbei, sie aussehen wie Blumenkohlröschen. Wenn sie morgens oder abends aufziehen, gelten sie als Vorboten für schlechtes Wetter. Fünf Kilometer über dem Erdboden tummeln sich Altostrati, das sind Wolken, die oft den ganzen Himmel verdichten und häufig heftige Regen oder Schneefälle ankündigen. Hier sind auch die Altocumuli zu Hause, die sich als harmlose Schäfchen zeigen und beständiges Wetter verheißen. Im dritten Stockwerk, in etwa acht Kilometern Höhe, schweben die an Federn erinnernden Cirrus-Wolken. So nett sie auch anzusehen sind – oft bringen sie Regen. In diesen Tagen dürfte mancher Bauer und Gärtner sie herbeisehnen.

… und für mich die „Poesie der Natur“

Die Faszination dieser Wetterphänomene ist so alt wie die Menschheit. Irgendein Geheimnis scheint Wolken zu umwehen, auch wenn Meteorologen aus den verschiedenen Erscheinungsformen und der Schnelligkeit, mit der die Wolken wandern, die Wetterlage ablesen. In Religionen wie dem Christentum oder dem Islam symbolisieren sie die Unerforschlichkeit göttlicher Allmacht. Naturvölker sehen in ihnen Fruchtbarkeit spendende Regenbringer. Und uns erscheinen sie wie ein geradezu himmlisches Versprechen: Wir schweben auf Wolke sieben, fallen aus allen Wolken oder leben im Wolkenkuckucksheim

Da bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als mit beiden Beinen am Boden zu bleiben. Aber wir könnten uns ins Gras legen oder uns auf einer Bank sitzend mit einem Blick in die Wolken dorthin träumen, wo alles, was uns sonst so groß und wichtig erscheint, plötzlich nichtig und klein wird. 

Ihr habt Lust bekommen, euch woanders hin zu träumen? Dann schaut mal hier: https://www.strandkorb-gefluester.de/reise-gefluester/

Ihr wollt es genau wissen? Dann schaut mal in den Wolkenatlas: http://www.wolken-online.de/wolkenatlas.htm

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Auf dem Dorf
wohnt das Glück

Wenn ich aus meinem Wohnzimmerfenster gucke, blicke ich über den Rasen auf einen Knick. Dahinter liegt ein Acker, dann wieder ein Knick, dahinter wohnt die nächste Nachbarfamilie. Gehe ich aus der Haustür, ist da wieder ein Knick, dahinter Äcker, ein Wäldchen … Mein Dorf, das nur aus einer Straße besteht und genaugenommen als Weiler bezeichnet werden muss, ist mit 47 Einwohnern in 22 Häusern klitzeklein.
Früher haben hier Landarbeiter und Bauern gelebt, heute arbeiten vor Ort noch ein Gärtner, ein Stalleinrichter, ein Tischler und ein Malermeister, der zugleich unser Bürgermeister ist.
Wir haben hier keine Kirche, nie gehabt. Der Kaufmannsladen und die Dorfschänke haben vor Jahren dicht gemacht. Es leben zu wenige Menschen hier. Dafür haben wir Wald. Viel Wald. Und Felder. Und Tiere. Vor meinem Haus zieht jeden Morgen ein Rudel Damhirsche vorbei, in der Nähe nistet ein Seeadlerpärchen, der Fuchs schleicht sich in aller Herrgottsfrühe mit seiner Beute über die Straße und in manchen Sommern bangen wir, ob der Storch trotz der Trockenheit seine Jungen wohl diesmal durchbringen wird. 

Einer opfert seine Zeit für den anderen

Was geht, kaufe ich in den Hofläden in unmittelbarer Umgebung ein. Ich kenne die Bauern und vertraue ihnen, das ist für mich wichtiger, als dass alles „Bio“ ist. Meine Eier kriege ich von einer Nachbarin, deren Hühner auf einer satten grünen Wiese laufen, wobei jetzt, mit der beginnenden Mauser, die eierkarge Zeit beginnt, weil die Hennen nicht mehr so legefreudig sind. Na, dann isst man halt weniger. Das, was die Natur gerade hergibt. 
Vielleicht sind die Menschen deshalb mehr bei sich, irgendwie mehr sie selbst.
Manches geht langsamer, vieles braucht mehr Zeit. Da konzentriert man sich auf das was wirklich im Leben zählt: die Gemeinschaft. Deshalb sind die wichtigsten Nachrichten die aus den Vereinen, die gemütlichsten Feste und kulturellen Highlights des Jahres veranstalten die Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr.
Einer, der sich hier dicke machen will und glaubt Wer-weiß-was darzustellen, kriegt nicht so leicht ein Bein auf den Boden, getreu dem plattdeutschen Spruch „‚‘n beten Grütt ünner de Mütz is veel nütz. Aver ‘n groot Haart ünner de West is dat Best“, der so viel bedeutet wie „Grips mag zu vielem nütze sein, aber worauf es ankommt, ist ein großes Herz.“ Deshalb packen die Leute hier zu. Neben Arbeit und Familie löscht die Feuerwehr Brände – ehrenamtlich, weil ihnen die Nächsten nicht gleichgültig sind. Die Sportvereine, Pfadfinder, Landfrauen, der Heimatverein und die Gemeindevertreter opfern einen großen Teil ihrer Freizeit – für eine Gemeinschaft, in der jeder den anderen kennt. 

‘n beten Grütt ünner de Mütz is veel nütz.
Aver ‘n groot Haart ünner de West is dat Best.

Plattdeutsche Weisheit

Was im Leben wirklich zählt

Und wenn man nicht genug über jemanden weiß, dann zieht man halt seine eigenen Schlüsse. Ich zum Beispiel bin etwa zwölf Dörfer weiter geboren und aufgewachsen, aber erst vor einigen Jahren hierhergezogen. Leute aus dem Nachbarweiler, der gerade mal einen Kilometer entfernt ist, halten mich für eine Geschiedene, die den lieben langen Tag nichts anderes zu tun hat, als mit ihrem Hund spazieren zu gehen. Das hat mir meine Nachbarin zugetragen, die mich nicht nur mit Eiern, sondern auch – wenn‘s dann an der Zeit ist – mit einem ausgedienten Huhn beschenkt. Die sich um die Tiere kümmert, wenn ich unterwegs bin und sie verarztet, wenn etwas nicht in Ordnung ist und über die Zeit zur Freundin geworden ist. Ein bisschen Dorfklatsch gehört eben dazu, denn die Winter sind lang und viel los ist dann nicht. Im Übrigen gefällt mir der Gedanke, nur das zu tun, wonach mir gerade ist … 

Es ist anders hier …

Der Strukturwandel verwandelt den ländlichen Raum, er blute aus, heißt es immer wieder. Ob mein Dorf eine Zukunft hat? Bestimmt! Drei Häuser weiter ist im Frühjahr ein junges Pärchen eingezogen. Und der alte Dorfkrug wurde von Grund auf mit viel Geschmack und Liebe saniert. Von Leuten aus der Stadt, die lieber hier wohnen wollen als dort. Vielleicht weil die Welt hier kleiner ist. Stiller. Entspannter. Und weil der Himmel hier am Tag weiter und in der Nacht so viel dunkler ist, dass jeder Augenblick und jeder einzelne Mensch ein wenig heller strahlt. Ich jedenfalls will hier nicht mehr weg!

* Inzwischen bin ich doch noch einmal umgezogen und wohne ein paar Dörfer weiter Richtung Ostsee. Auch da ist es schön!

Was mir in meinem neuen Zuhause aufgefallen ist, lest ihr hier: https://www.strandkorb-gefluester.de/2020/05/02/heimat-das-ist-hier/

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Quo Vadis, Landwirtschaft?

Früher. Da waren die Menschen froh, wenn sie überhaupt etwas zu essen hatten, und die Bauern wohlgelitten, weil sie für das täglich Brot sorgten. Dann wuchsen in Deutschland Wohlstand und Appetit. Und mit ihnen auch die Ställe. Nur eines wuchs nicht mit: der Boden, auf dem die Nahrung gedeiht für Mensch und Tier, der Boden, der Geflügel, Schweinen und Kühen Auslauf bot. Was dann passierte, lässt sich nur holzschnittartig beschreiben, denn Landwirtschaft kennt viele Betreibermodelle. Am Ende jedenfalls scheint es, als wären die Bauern kaum mehr Herr über den eigenen Hof. 

Das Bauern-Bashing

Als Europa in den 1960er Jahren zusammenwuchs, fanden sich die deutschen Landwirte wieder im Wettbewerb mit Nachbarländern, bald konkurrierten sie mit der ganzen Welt. Die globale Öffnung bescherte ihnen einen bescheidenen Wohlstand. Aber auch Krisen wie Rinderwahnsinn, Geflügelgrippe und Gammelfleisch. Ein paar wenige schwarze Schafe sorgten für handfeste Lebensmittelskandale und brachten gleich die ganze Erzeugerbranche in Verruf. Verbraucher witterten Verrat, der Grundstein für ewiges Misstrauen war gelegt.

Um ihre eigene Gesundheit und die Umwelt besorgte Bürger stellten unbequeme Fragen an die Landwirte und mischten sich ein in seine Geschäfte, dessen Gesetze sie nicht verstanden. Fürs Wochenende von der Stadt aufs Land Flüchtende fühlten sich durch Hähnekrähen und Schweinegestank gestört, so mancher erwog in grotesk anmutenden Feldzügen ein Sonntagsfahrverbot für Erntemaschinen anstrengen zu wollen. Ein in nur wenigen Jahrzehnten entstandener Konflikt zwischen den Bauern und dem Rest der Welt hat einen neuen Höhepunkt gefunden: Den Landwirten lauern Leute mit Kamera auf, sobald die mit dem Güllewagen den Hof verlassen. Ihre Söhne und Töchter werden von Mitschülern beschimpft, die Väter seien Verbrecher. Es scheint, als hätte eine kollektive Hysterie das Land ergriffen, in der es nur schwarz oder weiß, richtig oder falsch gibt. Was ist geschehen?

Der Wachstumskurs

Das Angebot stieg, der Wettbewerbsdruck wurde stärker. Wer mithalten wolle, müsse wachsen, lautete die Parole der Bauernschaft. Und auch die der Politik. Wachsen hieß, sich spezialisieren und die Produktion hochfahren. Der breit aufgestellte bäuerliche Betrieb, einst darauf ausgerichtet, die Region mit Lebensmitteln zu versorgen, war passé. Der Einzug neuer Technologien erleichterte die schwere körperliche Arbeit – und sie kostete Arbeitsplätze. Waren vor einhundert Jahren noch 80 Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft beschäftigt, so sind es heute weniger als 3 Prozent. Die Ställe wurden größer, Masttiere drängelten sich zu Tausenden auf immer weniger Raum. Auf den intensiv genutzten Feldern wurde lange Zeit reichlich gedüngt und der Ertrag mit teilweise umstrittenen Pflanzenschutzmitteln gesichert. Man sprach jetzt von Produktion, nicht mehr von Erzeugung. Die Landwirtschaft wurde zum einträglichen Wirtschaftsfaktor, vor allem für Saatgut- und Chemiekonzerne. 
Den Bauern schien es besser zu gehen. Aber nicht der Umwelt, auch nicht den Tieren. Und die Bauern hatten bald ganz andere Sorgen. 

Ohne Bauern kein Getreide. Ohne Getreide kein Brot …

Um 1900 erzeugte ein deutscher Landwirt Nahrungsmittel für vier weitere Menschen, 1950 waren es zehn und mit Beginn dieses Jahrhunderts schon 143. Diese beispiellose Produktionssteigerung konnte nur durch Maximierung erreicht werden, durch Preisgarantien und Fördergelder. Angesichts begrenzter Bodenressourcen wurde intensiviert, rationalisiert und geforscht. Saatgutkonzerne brachten laufend ertragreichere Sorten auf den Markt, das Vieh verschwand hinter Stalltüren. Nach Emissionsgesetzen und Umstrukturierungen zogen die Höfe aus den Dörfern an den Rand der Siedlungen und verschwanden so aus dem Blickfeld der Verbraucher. 

Das Höfesterben 

Mit der Spezialisierung ihrer Betriebe wuchs die Abhängigkeit vom Weltmarkt, dem sie ebenso ohnmächtig ausgesetzt waren wie Wind und Wetter, und der nach dem Wegfall der staatlichen Garantie die Preise diktierte. Wohin das führte, zeigte zuletzt der extreme Markteinbruch bei der Milch und dem Schweinefleisch.
Der Wachstumskurs und die härteren Bedingungen katapultierten viele Höfe ins Aus. Seit 2005 stellte fast jeder dritte Landwirt seinen Betrieb in Deutschland ein, das gilt auch für Schleswig-Holstein. Weil sie nicht wachsen konnten oder wollten. Weil Hofnachfolger seltener bereit sind, sich auf eine arbeitsreiche und unsichere Zukunft einzulassen.

Mit seinem Hof stirbt auch so mancher Bauer

Aber auch aufgerieben von sinkenden Erzeugerpreisen. Die Handelsriesen Edeka, Rewe, Lidl und Aldi beherrschen mit rund 85 Prozent den Lebensmittelmarkt und sitzen in Preisverhandlungen am längeren Hebel, der die Spirale immer weiter nach unten drückt. Und das gewissermaßen auch noch mit staatlicher Genehmigung, die die Mächtigen weiter wachsen lässt, während so mancher Bauer in Abhängigkeiten verstrickt, von Schulden erdrückt und sozial isoliert nur noch einen Ausweg sieht und beschließt: Mit seinem Hof stirbt auch er. Aber das bleibt meist im Verborgenen und wird an den Stammtischen nur hinter vorgehaltener Hand erzählt.

Die Glaubensfrage 


Lebensmittelunverträglichkeiten, gesundheitsbelastende Rückstände in Getreide, Fleisch und Gewässern, Tiere ohne Auslauf – seit Jahren ringen ernährungsbesorgte Verbraucher und engagierte Tier-und Umweltschützer mit Landwirten um den Königsweg, mit dem unser Hunger gestillt, dabei das Wohl von Nutztieren, der Erhalt fruchtbarer Böden und schadstofffreier Lebensmittel und dazu noch das bäuerliche Auskommen garantiert werden soll. Unvereinbar scheinen oft die Gegensätze, sogar im eigenen Lager. 
Etliche kleine und mittelständische Familienbetriebe, für die Landwirtschaft eng mit der Frage nach deren sozialen und biologischen Auswirkungen verknüpft ist, wandten sich 1980 vom Bauernverband ab und bildeten die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). Milchbauern, die auf einem der vielen Tiefpunkte des Milchmarkts ihre Existenz nicht ausreichend verteidigt sahen, organisierten sich im Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM). Die beiden abtrünnigen Organisationen gehörten zu den ersten, die nicht mehr an ein unbegrenztes Wachstum glaubten. 
Bio oder konventionell? Daran scheiden sich die Geister. Bio steht für die „guten“ Ökos, konventionell für die „bösen“ Massentierhalter und Giftspritzer. Welcher Weg der richtige ist, gerät zur Glaubensfrage. Zwei Lager, zwei Positionen – und viele neuralgische Reizthemen, um die wohl noch lange gerungen wird: die Menge von Nährstoffeinträgen und Unkrautvernichtern, Tierhaltung, Gewässer- und Artenschutz, Flächenprämien. 

Die Zukunft 

Quo vadis, Landwirtschaft? Eines ist sicher: Bei allem, was heute ist und morgen sein wird – Nostalgie ist fehl am Platze. Schon seit Langem spannt der Bauer im März nicht mehr die Rösser an, Traktoren schleppen Pflug und Grubber hinter sich her. Und sieht man sich auf den Agrarmessen um, scheint mit Farming 4.0 der Sprung in die Industrialisierung bald geschafft. Die Work-Life-Balance hat auch auf den Höfen Einzug gehalten, die neue Generation will nicht mehr buckeln wie ihre Altvorderen. Euter werden nicht mehr von Hand massiert – bei den Konventionellen nicht und auch nicht bei den Bios. Schon heute steigen in einigen Betrieben die Kühe eigenständig aufs Melkkarussell, der Futterroboter versorgt die Schweine und auf dem Acker ziehen satellitengesteuerte Traktoren punktgenau ihre Bahnen. In einem ZEIT-Interview meinte der Agrarmanager Martin Richenhagen: „Ackerbau und Tierhaltung werden durch die Datenrevolution immer mehr vom Handwerk zum industriellen Produktionsprozess. Der Bauernhof wird zur Fabrik …“ 
Sind vollautomatisierte Mega-Betriebe bei Ackerbau und Viehzucht tatsächlich das Modell der Zukunft? Und wo beginnt „Massentierhaltung“? Bei über 10.000 Legehühnern, wie sie auch in Bio-Betrieben zu finden sind? 

Bio oder konventionell?

Bio oder konventionell – die Frage scheint überholt. Seit einigen Jahren ist Regionalität der neue Trend, denn damit verbinden die Menschen Tradition, Vertrauen und Sicherheit. Viele Landwirte haben die Direktvermarktung als zusätzliche Einkommensquelle entdeckt, sie sind damit erfolgreich. Tausende Bauern haben den Ruf der Verbraucher gehört und sich der „Initiative Tierwohl“ angeschlossen oder erste Weichen gestellt, um an dem – sicher noch ausbaufähigen – Konzept teilnehmen zu können. Mit dem Verein Land schafft Verbindung (www.landschafftverbindung.org) suchen die Bauern den Dialog mit Politik und Verbrauchern. 
Auch die Letztgenannten sind gefragt, das Bemühen um besseren Tier- und Umweltschutz zu honorieren. Dass Verbraucher dazu gewillt sind, zeigt die stetig wachsende Nachfrage nach Bio und lokal erzeugten Lebensmitteln. 

Wenn alles gut läuft – und vor allem politisch gewollt ist – werden sich unter den Landwirten Global Player ebenso finden wie kleinere und mittlere Familienbetriebe, die die Region versorgen. Noch mehr Bürokratie ist ihnen, die bis zur Selbstausbeutung schuften, kaum zuzumuten. 

Eine Frage des Gewissens

Landwirtschaft ist – im Großen wie im Kleinen – von Bullerbü-Idylle weit entfernt. Das sollten auch unsere Kinder und Kindeskinder wissen. Aus Bilderbüchern lernen sie es nicht. Aber dann, wenn wir sie an die Hand nehmen und mal rüberfahren zum Bauern und mit ihm reden, statt über ihn. Es ist an der Zeit, dass nicht nur die Verbraucher die Realität anerkennen. Und dass der Handel, der seinen wirtschaftlichen Gewinn mindestens ebenso liebt wie seine Lebensmittel, denen mit Anstand begegnet, die ihm das ermöglichen. Denn eines ist gewiss: Ewiges Wachstum wird nur erreicht, indem man andere ihrer Würde beraubt, sei es ein Mensch oder ein Tier.

Ob global oder regional, Bio oder konventionell – alle Modelle werden sich daran messen lassen müssen, ob sie mit den Ressourcen so wirtschaften, dass das Wohl von Nutztieren und der Erhalt fruchtbarer Böden auf die nächsten Jahrhunderte hin garantiert werden kann. Wie nachhaltig ackern geht, weiß der gesunde Bauernverstand seit Jahrhunderten. Und das ist keine Frage des Glaubens, sondern eine Frage des Gewissens UND der Überzeugung.

„Miteinander schnacken statt übereinander“ – diesem Motto folgt auch LANDKUNSTSTÜCK e.V. https://www.strandkorb-gefluester.de/tag/kunst/

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Wie die Kunst
zu den Bauern kam

An der B 501, zwischen Grube in Ostholstein und Heringsdorf, liegt der Rosenhof. Die umliegenden Äcker werden von einem Landwirt bewirtschaftet. An einer seiner Scheunen hat er ein Transparent befestigt, so groß, dass keiner daran vorbeifahren kann. Darauf steht „Ihr sät nicht und ihr erntet nicht, aber ihr wisst alles besser … Liebe Landwirtschaftskritiker, sprecht mit uns, nicht über uns.“  Dieser Aufforderung kommt LANDKUNSTSTÜCK gerne nach. Der gleichnamige Verein, den wir vor fünf Jahren gegründet haben, möchte Einheimische und Gäste des Ostseeferienlandes über die Kunst zum Dialog mit den Landwirten einladen.

Und das kam so …

Mein langjähriger Kollege und Freund Ekkehard Briese besuchte mich mal wieder auf dem Land in Ostholstein. Er träumte seit seiner Studienzeit davon, ein Kunstprojekt auf dem Land zu realisieren. Als wir in meinem Garten zusammensaßen, erzählte ich ihm von einem Milchbauern, den ich als Journalistin anderthalb Jahre begleitet hatte. Ein Landwirt, der sehr selbstkritisch auf das blickt, was er tut. Einer, der wie viele andere tagtäglich den Spagat übt zwischen dem, was er als gläubiger Christ der Schöpfung schuldig zu sein glaubt – und der Notwendigkeit des wirtschaftlichen Überlebens seines Betriebs. Im ständigen Abwägen muss er oft genug seinen Verstand nutzen, ohne sein Herz dabei zu verlieren. 

Baum – Mensch – Baum: Skulptur der Künstlerin Margit Huch auf Bokhorst bei Kellenhusen

Er erzählte mir von den Herausforderungen, vor denen er, seine Familie und seine Kollegen stehen. Von dem Spagat, den die Obst- und Ackerbauern und Viehhalter leisten müssen: zwischen dem Weltmarkt und den Lebensmitteleinzelhandels-Riesen, die ihnen die Preise diktieren, dem Klimawandel und der Technisierung, zwischen den Verbrauchern, die billig essen wollen, und den Ausflüglern, die süße Ferkel und Kälber über die Wiesen toben sehen wollen, und den Umweltschützern, die die Natur bedroht sehen. Ganz schön viel auf einmal, wenn einem alle reinreden wollen in einen Beruf, von dem die meisten nichts verstehen, oder?  

Miteinander schnacken statt übereinander

Ekkehard, der Kunstverständige, hatte sich für sein Landart-Projekt die Marke LANDKUNSTSTÜCK schon schützen lassen und plante, die Kunst durch eine Fahrradroute miteinander zu verbinden. Mir war es wichtig, dass die Leute miteinander ins Gespräch kommen: die Landwirte mit den Künstlern, die Künstler mit den Verbrauchern und die Verbraucher mit den Landwirten. Damit war die Idee zu dem Projekt LANDKUNSTSTÜCK, wie es heute ist, geboren. 

Auch auf dem Land wird ja viel übereinander geschnackt statt miteinander. Nach meiner Erfahrung fühlt es sich für alle schöner, runder und aufrichtiger an, wenn man mal sich erkundigt, warum jemand etwas macht und auf welche Weise er es tut. Denn mit interessierten Fragen statt vorschnellen Urteilen lässt sich vieles besser verstehen. 

von bienen und blüten: Gedicht von Doris Runge für den Apfelhof Grimm bei Cismar

Dennoch war es ein oft nicht ganz einfacher Weg, die Bauern für die Idee zu erwärmen, dass wir ihnen ein paar Stücke Kunst auf das Land stellen wollten. Umso mehr habe ich mich über das Vertrauen gefreut, als die ersten Bauern Ja sagten und sich auf dieses Experiment eingelassen haben. Denn mit LANDKUNSTSTÜCK werden Kunst und Landwirtschaft erlebbar und erfahrbar. Unmittelbar, jenseits von Klischees und abseits von Museen. Jederzeit zugänglich und kostenlos für jedermann, ideologiefrei und unparteiisch. 

Abschied von Bullerbü

Mittlerweile stehen zwischen Grömitz, Cismar, Kellenhusen, Grube und Lensahn acht Skulpturen und Installationen. Die Knolle etwa, die Ulf Reisener und Ingo Warnke (www.heiliger-schein.de) für Steensens Bauernhof http://www.steensens-bauernhof.de geschaffen haben, ist ein Symbol dafür, dass ein Landwirt heute auf einem Bein kaum noch stehen kann. Als eine Huldigung der ostholsteinischen Hügellandschaft darf der Stein wie eine Landschaft von Ulrich Lindow für den Hof Dammer in Kattenberg verstanden werden. In seiner Videoinstallation Splitter nimmt Jobst von Berg http://www.jobstvonberg.de im Silo auf Hof Körnick Abschied von der Bullerbü-Idylle, die der Künstler selbst einst mit dem bäuerlichen Tun verbunden hat. Der Bildhauer Johannes Caspersen http://www.johannes-caspersen.de hat sich mit dem Thema Landgewinnung für den Ackerbau auseinandergesetzt und die beiden Stammgäste im trockengelegten Gruber See geschaffen.  

Bäume, Bienen und Gedichte

Generationenallee: Winni Schaak für den Hof Siems in Riepsdorf

Die Künstlerin Margit Huch http://www.margit-huch.de hat sich mit dem Bioland-Landwirt Kay Axt in Bokhorst zusammengetan und ihre Installation Baum – Mensch – Baum geschaffen. Sigrid Stegemann hat sich in ihrer Installation Bodenpunkte auf den Salzwiesen von Hof Hopp http://www.freizeitreiten-hopp.de in Lenste mit der Bodenfruchtbarkeit beschäftigt. Für den Bioland-Apfelhof Grimm hat die Lyrikerin Doris Runge aus dem Weißen Haus in Cismar mit einem Gedicht den bienen und blüten ein Denkmal gesetzt. Und der Bildhauer Winni Schaak (www.winnischaak.de) ist mit seiner Generationen-Allee bei dem Schweinemäster und Sauenhalter Carsten Siems in Riepsdorf zu Gast.

Vielleicht habt ihr ja auch mal Lust, mit einem der Bauern ins Gespräch zu kommen? Dann schwingt euch aufs Fahrrad und entdeckt das schöne Achterland im Ostseefreienland

Mehr Infos, auch zu Terminen und Routen, unter www.landkunststück.de