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Quo Vadis, Landwirtschaft?

Früher. Da waren die Menschen froh, wenn sie überhaupt etwas zu essen hatten, und die Bauern wohlgelitten, weil sie für das täglich Brot sorgten. Dann wuchsen in Deutschland Wohlstand und Appetit. Und mit ihnen auch die Ställe. Nur eines wuchs nicht mit: der Boden, auf dem die Nahrung gedeiht für Mensch und Tier, der Boden, der Geflügel, Schweinen und Kühen Auslauf bot. Was dann passierte, lässt sich nur holzschnittartig beschreiben, denn Landwirtschaft kennt viele Betreibermodelle. Am Ende jedenfalls scheint es, als wären die Bauern kaum mehr Herr über den eigenen Hof. 

Das Bauern-Bashing

Als Europa in den 1960er Jahren zusammenwuchs, fanden sich die deutschen Landwirte wieder im Wettbewerb mit Nachbarländern, bald konkurrierten sie mit der ganzen Welt. Die globale Öffnung bescherte ihnen einen bescheidenen Wohlstand. Aber auch Krisen wie Rinderwahnsinn, Geflügelgrippe und Gammelfleisch. Ein paar wenige schwarze Schafe sorgten für handfeste Lebensmittelskandale und brachten gleich die ganze Erzeugerbranche in Verruf. Verbraucher witterten Verrat, der Grundstein für ewiges Misstrauen war gelegt.

Um ihre eigene Gesundheit und die Umwelt besorgte Bürger stellten unbequeme Fragen an die Landwirte und mischten sich ein in seine Geschäfte, dessen Gesetze sie nicht verstanden. Fürs Wochenende von der Stadt aufs Land Flüchtende fühlten sich durch Hähnekrähen und Schweinegestank gestört, so mancher erwog in grotesk anmutenden Feldzügen ein Sonntagsfahrverbot für Erntemaschinen anstrengen zu wollen. Ein in nur wenigen Jahrzehnten entstandener Konflikt zwischen den Bauern und dem Rest der Welt hat einen neuen Höhepunkt gefunden: Den Landwirten lauern Leute mit Kamera auf, sobald die mit dem Güllewagen den Hof verlassen. Ihre Söhne und Töchter werden von Mitschülern beschimpft, die Väter seien Verbrecher. Es scheint, als hätte eine kollektive Hysterie das Land ergriffen, in der es nur schwarz oder weiß, richtig oder falsch gibt. Was ist geschehen?

Der Wachstumskurs

Das Angebot stieg, der Wettbewerbsdruck wurde stärker. Wer mithalten wolle, müsse wachsen, lautete die Parole der Bauernschaft. Und auch die der Politik. Wachsen hieß, sich spezialisieren und die Produktion hochfahren. Der breit aufgestellte bäuerliche Betrieb, einst darauf ausgerichtet, die Region mit Lebensmitteln zu versorgen, war passé. Der Einzug neuer Technologien erleichterte die schwere körperliche Arbeit – und sie kostete Arbeitsplätze. Waren vor einhundert Jahren noch 80 Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft beschäftigt, so sind es heute weniger als 3 Prozent. Die Ställe wurden größer, Masttiere drängelten sich zu Tausenden auf immer weniger Raum. Auf den intensiv genutzten Feldern wurde lange Zeit reichlich gedüngt und der Ertrag mit teilweise umstrittenen Pflanzenschutzmitteln gesichert. Man sprach jetzt von Produktion, nicht mehr von Erzeugung. Die Landwirtschaft wurde zum einträglichen Wirtschaftsfaktor, vor allem für Saatgut- und Chemiekonzerne. 
Den Bauern schien es besser zu gehen. Aber nicht der Umwelt, auch nicht den Tieren. Und die Bauern hatten bald ganz andere Sorgen. 

Ohne Bauern kein Getreide. Ohne Getreide kein Brot …

Um 1900 erzeugte ein deutscher Landwirt Nahrungsmittel für vier weitere Menschen, 1950 waren es zehn und mit Beginn dieses Jahrhunderts schon 143. Diese beispiellose Produktionssteigerung konnte nur durch Maximierung erreicht werden, durch Preisgarantien und Fördergelder. Angesichts begrenzter Bodenressourcen wurde intensiviert, rationalisiert und geforscht. Saatgutkonzerne brachten laufend ertragreichere Sorten auf den Markt, das Vieh verschwand hinter Stalltüren. Nach Emissionsgesetzen und Umstrukturierungen zogen die Höfe aus den Dörfern an den Rand der Siedlungen und verschwanden so aus dem Blickfeld der Verbraucher. 

Das Höfesterben 

Mit der Spezialisierung ihrer Betriebe wuchs die Abhängigkeit vom Weltmarkt, dem sie ebenso ohnmächtig ausgesetzt waren wie Wind und Wetter, und der nach dem Wegfall der staatlichen Garantie die Preise diktierte. Wohin das führte, zeigte zuletzt der extreme Markteinbruch bei der Milch und dem Schweinefleisch.
Der Wachstumskurs und die härteren Bedingungen katapultierten viele Höfe ins Aus. Seit 2005 stellte fast jeder dritte Landwirt seinen Betrieb in Deutschland ein, das gilt auch für Schleswig-Holstein. Weil sie nicht wachsen konnten oder wollten. Weil Hofnachfolger seltener bereit sind, sich auf eine arbeitsreiche und unsichere Zukunft einzulassen.

Mit seinem Hof stirbt auch so mancher Bauer

Aber auch aufgerieben von sinkenden Erzeugerpreisen. Die Handelsriesen Edeka, Rewe, Lidl und Aldi beherrschen mit rund 85 Prozent den Lebensmittelmarkt und sitzen in Preisverhandlungen am längeren Hebel, der die Spirale immer weiter nach unten drückt. Und das gewissermaßen auch noch mit staatlicher Genehmigung, die die Mächtigen weiter wachsen lässt, während so mancher Bauer in Abhängigkeiten verstrickt, von Schulden erdrückt und sozial isoliert nur noch einen Ausweg sieht und beschließt: Mit seinem Hof stirbt auch er. Aber das bleibt meist im Verborgenen und wird an den Stammtischen nur hinter vorgehaltener Hand erzählt.

Die Glaubensfrage 


Lebensmittelunverträglichkeiten, gesundheitsbelastende Rückstände in Getreide, Fleisch und Gewässern, Tiere ohne Auslauf – seit Jahren ringen ernährungsbesorgte Verbraucher und engagierte Tier-und Umweltschützer mit Landwirten um den Königsweg, mit dem unser Hunger gestillt, dabei das Wohl von Nutztieren, der Erhalt fruchtbarer Böden und schadstofffreier Lebensmittel und dazu noch das bäuerliche Auskommen garantiert werden soll. Unvereinbar scheinen oft die Gegensätze, sogar im eigenen Lager. 
Etliche kleine und mittelständische Familienbetriebe, für die Landwirtschaft eng mit der Frage nach deren sozialen und biologischen Auswirkungen verknüpft ist, wandten sich 1980 vom Bauernverband ab und bildeten die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). Milchbauern, die auf einem der vielen Tiefpunkte des Milchmarkts ihre Existenz nicht ausreichend verteidigt sahen, organisierten sich im Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM). Die beiden abtrünnigen Organisationen gehörten zu den ersten, die nicht mehr an ein unbegrenztes Wachstum glaubten. 
Bio oder konventionell? Daran scheiden sich die Geister. Bio steht für die „guten“ Ökos, konventionell für die „bösen“ Massentierhalter und Giftspritzer. Welcher Weg der richtige ist, gerät zur Glaubensfrage. Zwei Lager, zwei Positionen – und viele neuralgische Reizthemen, um die wohl noch lange gerungen wird: die Menge von Nährstoffeinträgen und Unkrautvernichtern, Tierhaltung, Gewässer- und Artenschutz, Flächenprämien. 

Die Zukunft 

Quo vadis, Landwirtschaft? Eines ist sicher: Bei allem, was heute ist und morgen sein wird – Nostalgie ist fehl am Platze. Schon seit Langem spannt der Bauer im März nicht mehr die Rösser an, Traktoren schleppen Pflug und Grubber hinter sich her. Und sieht man sich auf den Agrarmessen um, scheint mit Farming 4.0 der Sprung in die Industrialisierung bald geschafft. Die Work-Life-Balance hat auch auf den Höfen Einzug gehalten, die neue Generation will nicht mehr buckeln wie ihre Altvorderen. Euter werden nicht mehr von Hand massiert – bei den Konventionellen nicht und auch nicht bei den Bios. Schon heute steigen in einigen Betrieben die Kühe eigenständig aufs Melkkarussell, der Futterroboter versorgt die Schweine und auf dem Acker ziehen satellitengesteuerte Traktoren punktgenau ihre Bahnen. In einem ZEIT-Interview meinte der Agrarmanager Martin Richenhagen: „Ackerbau und Tierhaltung werden durch die Datenrevolution immer mehr vom Handwerk zum industriellen Produktionsprozess. Der Bauernhof wird zur Fabrik …“ 
Sind vollautomatisierte Mega-Betriebe bei Ackerbau und Viehzucht tatsächlich das Modell der Zukunft? Und wo beginnt „Massentierhaltung“? Bei über 10.000 Legehühnern, wie sie auch in Bio-Betrieben zu finden sind? 

Bio oder konventionell?

Bio oder konventionell – die Frage scheint überholt. Seit einigen Jahren ist Regionalität der neue Trend, denn damit verbinden die Menschen Tradition, Vertrauen und Sicherheit. Viele Landwirte haben die Direktvermarktung als zusätzliche Einkommensquelle entdeckt, sie sind damit erfolgreich. Tausende Bauern haben den Ruf der Verbraucher gehört und sich der „Initiative Tierwohl“ angeschlossen oder erste Weichen gestellt, um an dem – sicher noch ausbaufähigen – Konzept teilnehmen zu können. Mit dem Verein Land schafft Verbindung (www.landschafftverbindung.org) suchen die Bauern den Dialog mit Politik und Verbrauchern. 
Auch die Letztgenannten sind gefragt, das Bemühen um besseren Tier- und Umweltschutz zu honorieren. Dass Verbraucher dazu gewillt sind, zeigt die stetig wachsende Nachfrage nach Bio und lokal erzeugten Lebensmitteln. 

Wenn alles gut läuft – und vor allem politisch gewollt ist – werden sich unter den Landwirten Global Player ebenso finden wie kleinere und mittlere Familienbetriebe, die die Region versorgen. Noch mehr Bürokratie ist ihnen, die bis zur Selbstausbeutung schuften, kaum zuzumuten. 

Eine Frage des Gewissens

Landwirtschaft ist – im Großen wie im Kleinen – von Bullerbü-Idylle weit entfernt. Das sollten auch unsere Kinder und Kindeskinder wissen. Aus Bilderbüchern lernen sie es nicht. Aber dann, wenn wir sie an die Hand nehmen und mal rüberfahren zum Bauern und mit ihm reden, statt über ihn. Es ist an der Zeit, dass nicht nur die Verbraucher die Realität anerkennen. Und dass der Handel, der seinen wirtschaftlichen Gewinn mindestens ebenso liebt wie seine Lebensmittel, denen mit Anstand begegnet, die ihm das ermöglichen. Denn eines ist gewiss: Ewiges Wachstum wird nur erreicht, indem man andere ihrer Würde beraubt, sei es ein Mensch oder ein Tier.

Ob global oder regional, Bio oder konventionell – alle Modelle werden sich daran messen lassen müssen, ob sie mit den Ressourcen so wirtschaften, dass das Wohl von Nutztieren und der Erhalt fruchtbarer Böden auf die nächsten Jahrhunderte hin garantiert werden kann. Wie nachhaltig ackern geht, weiß der gesunde Bauernverstand seit Jahrhunderten. Und das ist keine Frage des Glaubens, sondern eine Frage des Gewissens UND der Überzeugung.

„Miteinander schnacken statt übereinander“ – diesem Motto folgt auch LANDKUNSTSTÜCK e.V. https://www.strandkorb-gefluester.de/tag/kunst/

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Wie die Kunst
zu den Bauern kam

An der B 501, zwischen Grube in Ostholstein und Heringsdorf, liegt der Rosenhof. Die umliegenden Äcker werden von einem Landwirt bewirtschaftet. An einer seiner Scheunen hat er ein Transparent befestigt, so groß, dass keiner daran vorbeifahren kann. Darauf steht „Ihr sät nicht und ihr erntet nicht, aber ihr wisst alles besser … Liebe Landwirtschaftskritiker, sprecht mit uns, nicht über uns.“  Dieser Aufforderung kommt LANDKUNSTSTÜCK gerne nach. Der gleichnamige Verein, den wir vor fünf Jahren gegründet haben, möchte Einheimische und Gäste des Ostseeferienlandes über die Kunst zum Dialog mit den Landwirten einladen.

Und das kam so …

Mein langjähriger Kollege und Freund Ekkehard Briese besuchte mich mal wieder auf dem Land in Ostholstein. Er träumte seit seiner Studienzeit davon, ein Kunstprojekt auf dem Land zu realisieren. Als wir in meinem Garten zusammensaßen, erzählte ich ihm von einem Milchbauern, den ich als Journalistin anderthalb Jahre begleitet hatte. Ein Landwirt, der sehr selbstkritisch auf das blickt, was er tut. Einer, der wie viele andere tagtäglich den Spagat übt zwischen dem, was er als gläubiger Christ der Schöpfung schuldig zu sein glaubt – und der Notwendigkeit des wirtschaftlichen Überlebens seines Betriebs. Im ständigen Abwägen muss er oft genug seinen Verstand nutzen, ohne sein Herz dabei zu verlieren. 

Baum – Mensch – Baum: Skulptur der Künstlerin Margit Huch auf Bokhorst bei Kellenhusen

Er erzählte mir von den Herausforderungen, vor denen er, seine Familie und seine Kollegen stehen. Von dem Spagat, den die Obst- und Ackerbauern und Viehhalter leisten müssen: zwischen dem Weltmarkt und den Lebensmitteleinzelhandels-Riesen, die ihnen die Preise diktieren, dem Klimawandel und der Technisierung, zwischen den Verbrauchern, die billig essen wollen, und den Ausflüglern, die süße Ferkel und Kälber über die Wiesen toben sehen wollen, und den Umweltschützern, die die Natur bedroht sehen. Ganz schön viel auf einmal, wenn einem alle reinreden wollen in einen Beruf, von dem die meisten nichts verstehen, oder?  

Miteinander schnacken statt übereinander

Ekkehard, der Kunstverständige, hatte sich für sein Landart-Projekt die Marke LANDKUNSTSTÜCK schon schützen lassen und plante, die Kunst durch eine Fahrradroute miteinander zu verbinden. Mir war es wichtig, dass die Leute miteinander ins Gespräch kommen: die Landwirte mit den Künstlern, die Künstler mit den Verbrauchern und die Verbraucher mit den Landwirten. Damit war die Idee zu dem Projekt LANDKUNSTSTÜCK, wie es heute ist, geboren. 

Auch auf dem Land wird ja viel übereinander geschnackt statt miteinander. Nach meiner Erfahrung fühlt es sich für alle schöner, runder und aufrichtiger an, wenn man mal sich erkundigt, warum jemand etwas macht und auf welche Weise er es tut. Denn mit interessierten Fragen statt vorschnellen Urteilen lässt sich vieles besser verstehen. 

von bienen und blüten: Gedicht von Doris Runge für den Apfelhof Grimm bei Cismar

Dennoch war es ein oft nicht ganz einfacher Weg, die Bauern für die Idee zu erwärmen, dass wir ihnen ein paar Stücke Kunst auf das Land stellen wollten. Umso mehr habe ich mich über das Vertrauen gefreut, als die ersten Bauern Ja sagten und sich auf dieses Experiment eingelassen haben. Denn mit LANDKUNSTSTÜCK werden Kunst und Landwirtschaft erlebbar und erfahrbar. Unmittelbar, jenseits von Klischees und abseits von Museen. Jederzeit zugänglich und kostenlos für jedermann, ideologiefrei und unparteiisch. 

Abschied von Bullerbü

Mittlerweile stehen zwischen Grömitz, Cismar, Kellenhusen, Grube und Lensahn acht Skulpturen und Installationen. Die Knolle etwa, die Ulf Reisener und Ingo Warnke (www.heiliger-schein.de) für Steensens Bauernhof http://www.steensens-bauernhof.de geschaffen haben, ist ein Symbol dafür, dass ein Landwirt heute auf einem Bein kaum noch stehen kann. Als eine Huldigung der ostholsteinischen Hügellandschaft darf der Stein wie eine Landschaft von Ulrich Lindow für den Hof Dammer in Kattenberg verstanden werden. In seiner Videoinstallation Splitter nimmt Jobst von Berg http://www.jobstvonberg.de im Silo auf Hof Körnick Abschied von der Bullerbü-Idylle, die der Künstler selbst einst mit dem bäuerlichen Tun verbunden hat. Der Bildhauer Johannes Caspersen http://www.johannes-caspersen.de hat sich mit dem Thema Landgewinnung für den Ackerbau auseinandergesetzt und die beiden Stammgäste im trockengelegten Gruber See geschaffen.  

Bäume, Bienen und Gedichte

Generationenallee: Winni Schaak für den Hof Siems in Riepsdorf

Die Künstlerin Margit Huch http://www.margit-huch.de hat sich mit dem Bioland-Landwirt Kay Axt in Bokhorst zusammengetan und ihre Installation Baum – Mensch – Baum geschaffen. Sigrid Stegemann hat sich in ihrer Installation Bodenpunkte auf den Salzwiesen von Hof Hopp http://www.freizeitreiten-hopp.de in Lenste mit der Bodenfruchtbarkeit beschäftigt. Für den Bioland-Apfelhof Grimm hat die Lyrikerin Doris Runge aus dem Weißen Haus in Cismar mit einem Gedicht den bienen und blüten ein Denkmal gesetzt. Und der Bildhauer Winni Schaak (www.winnischaak.de) ist mit seiner Generationen-Allee bei dem Schweinemäster und Sauenhalter Carsten Siems in Riepsdorf zu Gast.

Vielleicht habt ihr ja auch mal Lust, mit einem der Bauern ins Gespräch zu kommen? Dann schwingt euch aufs Fahrrad und entdeckt das schöne Achterland im Ostseefreienland

Mehr Infos, auch zu Terminen und Routen, unter www.landkunststück.de