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Reise-Geflüster

Bayern: Kunst und Kulinarik im Blauen Land

Es sei dieses Blau gewesen, das im Sonnenuntergang das ausgedehnte Moor am Fuß der Alpen romantisch verschleiere und Gabriele Münter, Wassily Kandinsky, Franz Marc und August Macke zur Namensgebung ihrer Künstlervereinigung Der Blaue Reiter inspirierte – so sagen die Leute in Murnau am Staffelsee. Während die Wegbereiter der modernen Kunst es hier, nahe München und noch näher an Garmisch-Partenkirchen, es nur eine kurze Weile miteinander aushielten, haben die heute im Blauen Land ansässigen Kunstschaffenden und Gastwirte eine dauerhafte Allianz geschmiedet: die KunstWirte, die alljährlich KunstKulinarische Reisen veranstalten.

Bayrische Schmankerln und visuelle Vielfalt

Zum Auftakt wird ein spritziger Aperitif samt Borretschblüte im KuHaus http://www.kuhaus.de gereicht, an den Wänden die nahezu monochrom anmutende Malerei von Marc Völker und Fotografien von Kirsten Luna Sonnemann. Das Werkzeug des Künstlerpaares ist für diese Stunden weitgehend aus dem Blickfeld verbannt, denn heute steht weniger das Schaffen selbst als vielmehr die Kunst im Mittelpunkt. Und die Kulinarik. Gemeinsam mit einer kleinen Gruppe von Kulturinteressierten werden wir in den nächsten fünf Stunden mit fünf sehr unterschiedlichen KünstlerInnen ins Gespräch kommen und dabei, einem Running Dinner gleich, in fünf gastronomischen Betrieben bayrische Schmankerl genießen.

Kunst und Kulinarik im Dialog

Möglich machen das die KunstWirte mit ihren KunstKulinarischen Reisen. Die KunstWirte sind ein Zusammenschluss der Gastwirte und Kunstschaffenden, die rund um den Staffelsee zu Hause sind. Wer mein Engagement für LANDKUNSTSTÜCK e.V. schon kennt https://www.strandkorb-gefluester.de/2020/06/26/von-knicks-kueken-und-kreislaeufen-in-der-landwirtschaft/, wird wissen, dass mich Dialogkonzepte jeglicher Art interessieren. Um mehr über das KunstWirte-Projekt zu erfahren, bin ich für zwei Tage corona-sicher von Schleswig-Holstein nach Bayern gereist und habe mich im wunderschönen 5 Sterne-Hotel Alpenhof Murnau (http://www.alpenhof-murnau.de) einquartiert. Nach dem von Küchenchef Claus Gromotka und seinem Team zubereiteten Essen mit Blick auf die Alpen, falle ich in Tiefschlaf.

Die Staffelseewirte – ziemlich clever
Miteinander geht’s besser als gegeneinander – könnte das Motto der Staffelseewirte lauten. Unterschiedliche Betriebe, wie Hotels und Pensionen, Restaurants, Brauereien Traditionsgasthöfe, eine Schokoladenmanufaktur, ein Weinlokal und Kult-Biergarten haben sich zusammengeschlossen, statt miteinander in Konkurrenz zu treten. Die heimatverbundenen Gastronomen verstehen sich als „Botschafter der Lebensfreude im Blauen Land“, unterhalten eine Weidegemeinschaft und helfen sich gegenseitig aus, wenn „Not am Mann“ ist. Dieses Vorbild könnte doch auch für andere touristische Regionen taugen, oder? http://www.staffelseewirte.de

Am nächsten Morgen empfängt mich ein (wortwörtlich) strahlender Christian Bär, seines Zeichens Chef des Hotels. Der scheinbar ewig gutgelaunte Mann ist im Besitz des ersten Hauses in Murnau und Mitglied der Staffelseewirte (http://www.staffelseewirte.de), einer Vereinigung von heimatverbundenen Gastronomen. Und die haben ihre Chance erkannt, als vor ein paar Jahren das Künstlerpaar Marc Völker und Kirsten Luna Sonnemann eine Idee vorstellte, die sich mittlerweile als Kult-Event etabliert hat: Danach würden die um Murnau ansässigen KünstlerInnen ihre Werke in den Gaststuben des Blauen Landes präsentieren. Einmal im Monat könne man die Ausstellenden einladen, um Gästen die persönliche Begegnung und den Austausch mit den Künstlerinnen zu ermöglichen. Und ja, warum eigentlich könne man den Kunstgenuss nicht gleich mit dem Genuss regionaler Spezialitäten verbinden? Das war die Geburtsstunde der KunstKulinarischen Reisen, kurz KuKulis genannt. Sie werden seit 2017 veranstaltet und laufen über zwei Routen. Das Motto in diesem Jahr lautet BLAU.

Gelungene Formel: 5 mal Kunst,
5 mal Genuss

Meine KuKuli beginnt in besagtem KuHaus, dem Atelier von Kirsten und Marc. Die (corona-bedingt) kleine Gruppe ist bester Stimmung. Dass Marc, der als künstlerischer Leiter die Ausstellungen seit 2017 mit Bedacht kuratiert, eine kurzfristige Routenänderung ankündigt, bekümmert niemanden. Und so geht es zunächst nur ein paar Schritte weiter ins Angerbräu http://angerbraeu.de, dessen Treppenaufgänge und Wirtsräume mit den durch kraftvolle, überwiegend abstrakte Pinselstriche geprägten Arbeiten von Andy Fritsch http://www.andy-fritsch-art.de geprägt sind. Den kulinarischen Auftakt macht hier eine zünftige Brotzeit auf landestypisch weiß-blauer Serviette. Im Gasthof Zum Beinhofer http://beinhofer-murnau.de scheint das mit Kapuzinerkresse garnierte Knödel-Carpaccio die verwunschene, mitunter mystische Zartheit der Radierungen von Greta Rief http://www.tusculum-murnau.de aufzunehmen.

Der Begegnung mit Stefanie Speermann http://www.speermann-arts.de (der ich am Morgen schon ausführlicher begegnen durfte) und ihren berührenden Porträts folgt in der Tradtionsbrauerei Griesbräu http://griesbraeu.de ein von Gastgeber Michael Gilg selbst erlegtes und in der Küche zart zubereitetes Rehfilet an Bandnudeln.

Per Bus-Shuttle geht’s weiter ins Restaurant Auszeit http://www.restaurant-auszeit.de, in dem die beeindruckende Künstlerin Annemarie Bahr http://www.tusculum-murnau.de/bahr.html mich mit ihren gegenständlichen, zumeist hintersinnigen Porträts und Räumen und den Geschichten dahinter beinahe zu Tränen rührt, die gerade noch durch den servierten Saibling aufgefangen werden. Nach dem Dessert zu den Werken von Marc Völker http://marcvoelker.com selbst, sollte dieser an Kunst und Kulinarik reiche Abend im Alpenhof eigentlich rasch zu Ende sein. Aber die Eindrücke klingen nach. Und das Reden über die Kunst und das Blaue Land wollen nun mal einfach kein Ende nehmen.

Wie das Blaue Land zu seinem Namen kam und was ihr in Murnau am Staffelsee sonst noch entdecken könnt, lest ihr hier: https://www.strandkorb-gefluester.de/2020/08/20/gabriele-muenters-vermaechtnis/

Weitere KunstWirte-Touren

Die nächsten KunstKulinarischen Reisen finden statt am
4. und 11. September, 9. und 16. Oktober, 6. und 13. November 2020. Anmeldung über die Tourist-Information Murnau:
E-Mail: kunstwirte@murnau.de, Telefon 08841 – 476 240.

Dem Himmel ganz nah – mit Bildern in der Schokoladenmanufaktur Murnau von Ute Bauer-Schröter, einer der sechs weiteren KünstlerInnen der KunstKulinarischen Reisen Foto: Claudia Reshöft
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Land-Lauschen

Gabriele Münter und die Blauen Reiter

Es soll das Blau gewesen sein, welches das Murnauer Moos am Fuß der Alpen in die wohl romantischte aller Farben taucht und Gabriele Münter, Wassily Kandinsky, Franz Marc und August Macke zur Namensgebung ihrer Vereinigung Der Blaue Reiter inspirierte.
Die KünstlerInnen fuhren Anfang des 20. Jahrhunderts mit der Bahn in die „Sommerfrische“ nach Murnau und entdeckten das Schauspiel, das sich insbesondere an späten Sommerabenden wiederholte. Kandinskys Vorliebe für die Farbe Blau und Marcs Schwäche für Pferde verbanden sich so zu den Blauen Reitern, die mit Ausstellungen ihrer expressionistischen Arbeiten in den Jahren 1911/12 für Furore und Aufruhr sorgten und seither zu den bedeutendsten Wegbereitern der modernen Kunst im 20. Jahrhundert zählen. Zu den Blauen Reitern gehören neben Marc und Kandinsky auch Robert Delaunay, Marianne von Werefkin, Alexej von Jawlensky, Alfred Kubin und August Macke.

„Je tiefer das Blau wird, desto tiefer ruft es den Menschen
in das Unendliche, weckt in ihm die Sehnsucht
nach Reinem und schließlich Übersinnlichem,
denn es ist die Farbe des Himmels“. 

Wassily Kandinsky

Das „Russenhaus“ von Murnau

Zu den Blauen Reitern gesellten sich zahlreiche Russen. Einer der bedeutendsten unter ihnen, Wassily Kandinsky, war mit der expressionistischen Malerin Gabriele Münter liiert. Das Paar kaufte sich ein Haus in der Kottmüllerstraße, welches sie von 1909 bis 1914 gemeinsam bewohnten – und in das sie natürlich ihre russischen Künstler-KollegInnen einluden. Das lockere Treiben dort erschien den Murnauern suspekt, weshalb sie es wohl mit einer Mischung aus Respekt und Abscheu nur das „Russenhaus“ nannten.

Gerettete Kunst

Nach Kandinskys Rückkehr nach Russland blieb seine Lebensgefährtin Gabriele Münter nach längerer Abwesenheit bis zu ihrem Tod 1962 in Murnau wohnen. Ihr ist zu verdanken, dass ein Teil der unter den Nationalsozialisten als „entartet“ geltenden Werke erhalten blieben. Unter anderem wird erzählt, sie habe in den Kriegsjahren so argen Hunger gelitten, dass sie beim örtlichen Metzger Bilder gegen ein Stück Wurst eingetauscht habe. Woraufhin der Metzger sich angesichts des jämmerlichen Mütterleins gnädig erwies – und Leinwände und Rahmen in Ermangelung von Brennstoffen zum Heizen verwendet haben soll. Getreu dem Motto: Von wegen Kunst – das kann weg.

Heute heißt das „Russenhaus“ Münter-Haus und ist eine Gedenkstätte und ein Museum. Es wird von einer Stiftung getragen, die nach der Künstlerin und ihrem späteren Lebensgefährten Johannes Eichner benannt ist.

Mehr Infos: http://www.muenter-stiftung.de/de/das-munter-haus-2/