Es ist gar nicht so einfach, des Rebstocks Herr zu werden. Die Wärme hat die Triebe der Glera-Traube auf Peitschenlänge wuchern lassen. Mirco Grotto kann sich auf die Zehenspitzen stellen und die Hände noch so weit recken, und doch reicht der 1,83 Meter-Mann nicht so weit an die rankenden Spitzen heran, dass er sie um den Spalierdraht winden kann. Also nimmt er einen Hocker zu Hilfe. Daraufhin steht er mit zwei Beinen am Abgrund der steil abfallenden Weinterrasse – ein Bild, das man sich kaum anschauen kann, ohne nervös zu werden. Und eines, das sich im September zur Weinlese wiederholen wird.
Ja, die heldenhafte Arbeit am Hügel Cartizze ist eine Herausforderung. Und zugleich das größte Glück – für die Winzer wie auch für die Liebhaber des besten Proseccos der Welt.
Ein Prickeln, das die Weinbauern zum Schäumen bringt
Prosecco? Bei diesem Wort denkt so mancher an die bei Damenrunden so beliebte, süffige Variante aus dem Supermarkt. Oder an das blubbernde Gebräu in Dosen, das Mitte der Nullerjahre, von einer grellblonden Milliardenerbin angepriesen, für Furore auf dem Markt der Prickeldrinks sorgte und den Spumante in den Verruf des Massenfusels brachte. Der ramponierte Ruf des italienischen Exportschlagers versetzte die Weinbauern im Veneto derart ins Schäumen, sodass sie etwas zur Ehrenrettung des Proseccos unternehmen mussten. Mit Erfolg: Seit 2009 ist das 6.100 Hektar große Produktionsgebiet zwischen Conegliano und Valdobbiadene mit der kontrollierten und garantierten Herkunftsbezeichnung DOCG geschützt. Nun ist der Prosecco Superiore trockene Klasse statt süße Masse. Und der vom Cartizze ist die Krönung.
Begehrte Top-Lage
Mirco Grotto sitzt nach getaner Arbeit in seinem Garten bei Santo Stefano. Er blickt auf die besonders begehrte Lage des DOCG-Gebiets. 110 Weinbauern, zu denen auch er gehört, teilen sich die 107 Hektar extremen Steilhänge, die über Jahrmillionen von Moränenablagerungen, Sandstein und Ton geformt wurden. Tagsüber wird der Weinberg Cartizze von der Sonne geküsst, in den kühlen Nächten streichelt ihn der Wind. Es sind das milde Mikroklima und der uralte Boden, die dem sortenreinen Superiore di Cartizze seinen außergewöhnlichen Charakter verleihen. In blassem Strohgelb, mit grünlichen Reflexen perlt der Prosecco in dem Kelchglas, das Mirco uns reicht. Für uns ein unerwartet trockener Genuss von leicht spröder Noblesse, überraschend frisch, mit einer Note von Pfirsich und Aprikose. „Dies ist der Zero, mit null Prozent Restzucker. Er ist gemacht für ein paar wenige, die seine Reinheit zu schätzen wissen“, sagt Mirco mit dem Stolz eines Passionierten, der eine Schwäche für Raritäten pflegt.
Mirco Grottos Ziel: Zero Zucker
Die Liebe zu dem, was er tut, wurde ihm in die Wiege gelegt. Mirco wuchs im Veneto auf dem Weingut Garbara (www.garbara.it) zwischen Rebstöcken auf. Sogar während der zwei Jahrzehnte, die er als leitender Angestellter in Brillenindustrie engagiert war, half er bei Ernte und Pflege am Steilhang. Als sein Vater Ambrogio die schwere und gefährliche Arbeit nicht mehr allein bewältigen konnte, kehrte Mirco zurück. Mit dem Ehrgeiz, einen Prosecco superiore zu schaffen, wie er nie dagewesen war. Als er aufs Ganze ging und einen seiner ohnehin trockenen Cartizze von jeglichem Restzucker befreite, meinte ein Freund: „Den kannst du nicht verkaufen!“ Mirco Grotto aber war überzeugt: „Wenn man einen Wein macht, den man liebt, findet man auch seine Klienten.“ Und die stehen Schlange, denn von seinem Garbara Zero werden nur 6.000 Flaschen pro Jahr abgefüllt. https://garbara.it/de/
Die alten Weinstöcke der
Sorelle Bronca
Das Weingut der Schwestern Antonella und Ersiliana Bronca, nur wenige Kilometer vom Cartizze entfernt, erscheint mit seinen
25 Hektar im Vergleich mit Garbara wie ein Riese. In der Produktionshalle glänzen Edelstahltanks, Kühlaggregate surren und chromblitzende Rohrleitungen pumpen den Most von einem Tank in den anderen. Prosecco-Erzeugung ist eine Hightech-Produktion, so viel ist klar. Dem voraus geht jedoch die Arbeit im Weinberg, die in der gesamten DOCG-Region (www.prosecco.it) ausschließlich von Hand bewältigt wird.
Antonella fährt mit mir in die Hügel von Colbertaldo. Zu Fuß geht es steil bergan, vorbei an Felsabbrüchen, die den kalk- und mineralhaltigen Boden erkennen lassen. Antonella streicht mit der Hand durch das dichte Weinlaub und greift nach einer Glera-Traube, die ein paar Wochen später zu goldgelben Beeren gereift sein wird. „Diese Weinstöcke sind über 40 Jahre alt und bringen eine exzellente Qualität hervor“, sagt sie. Und die ist gerade gut genug für ihren mehrfach prämierten Prosecco superiore, der so heißt wie die Parzelle auf der wir soeben stehen: Particella 68.
Allein unter Männern
Es war nicht vorgesehen, dass Antonella und Ersiliana einmal den Familienbetrieb übernehmen würden. „Wir gehören zu einer Generation, in der Frauen eine Ausbildung machten, heirateten und Kinder bekamen. Die Handlese im Weinberg, die Vinifikation – das war Männersache“, erinnert sie sich. Aber dann starb der Vater vor 25 Jahren plötzlich. Für Antonella und ihre Schwester war es keine Frage: Wir machen weiter. Anfangs hatten die Frauen es schwer, sich in der Männerdomäne zu behaupten. Über die Jahre haben sie aber mit Feingefühl und viel Verstand so fein ausbalancierte Prosecchi Superiore geschaffen, dass es den männlichen Kollegen Respekt abnötigt. Mittlerweile reist Antonella als Botschafterin ihres Weinguts, aber auch für die gesamte DOCG-Region zu Symposien und Kongressen. Denn in der Heimat des Proseccos wird nicht nur perlender Spumante superiore gekeltert, auch stille Weine in Rot und Weiß, die so charakteristisch sind wie das Land. http://www.sorellebronca.com/
Ein Hauch Sommerfrische
Liebliche Hügel, über die das nahe Meer beständig eine leichte Brise sendet. Eine überbordende Flora und Fauna. Dazwischen schmiegen sich pittoreske Städtchen, Burgen, Schlösser und Klöster. Es ist kein Wunder, dass die wohlhabenden Venezianer die Region einst als ihren Garten für die Sommerfrische betrachteten. Mittlerweile gehören die lieblichen Hügel, die Heimat des Proseccos, zum UNESCO-Weltkulturerbe.
Diese kulturelle Vielfalt zu erhalten, die Böden zu schonen und Gutes besser zu machen statt mehr vom weniger Guten – das haben sich die Weinbauern vorgenommen. Dies ist auch ein Ziel von Federico Ricci vom Landgut Le Fade (www.lefade.com) bei Susegana.
Federico Ricci: Rocker mit einer Schwäche für Rote
Mit Hipster-Bart und „Jesus looks like me“ auf dem von der Arbeit angegrauten weißen T-Shirt steigt der Spross des Großgrundbesitzers Luca Ricci samt Cocker-Hündin Uva (ital. für „Traube“) in den Jeep. In rasantem Tempo jagt er über die Straße. An einem Waldstück öffnet sich ein schmiedeeisernes Tor,. Weiter geht es über Stock und Stein durch ausgedehnte Weinhänge. Etwas versteckt verbirgt sich hinter einer Böschung ein Refugium des Ricci-Imperiums. Unterhalb eines Felsens sind vor wenigen Jahren junge Weinstöcke gepflanzt worden. An ihren Füßen sammeln sich Beikräuter. Hin und wieder bückt sich Federico, um Ampfergewächse mitsamt der Wurzel herauszuziehen. „Wir experimentieren zurzeit mit einer anderen Form der Bodenbearbeitung. Das wilde Kraut zwischen den Zeilen wird untergepflügt, denn es nimmt den Reben Nährstoffe und Oberflächenwasser weg. Der Vorteil gegenüber chemischer Unkrautbekämpfung ist: Im Boden fördert das Grün die Humusbildung. So bleiben die nützlichen Insekten und Bodenbakterien erhalten. Das kommt auch unseren Weinen zugute“, meint Federico.
Salute, Spumante superiore!
Am Abend eines langen Tages lädt er uns noch auf ein Glas in die Halle des Landguts Le Fade ein. Wir stoßen am Kamin mit einem perlenden, extra trockenen DOCG-Prosecco aus den eigenen Weinbergen an – was sonst. Wir prosten uns noch mit einem stillen, harmonisch-rundem Roten an, einem Merlot namens Baúsk. Auch dessen Heimat liegt in den Hügeln zwischen Conegliano und Valdobbiadene, wo es noch viel zu entdecken gibt. Deshalb sage ich an dieser Stelle: Salute, Spumante superiore!
Mehr Reisegeflüster findet ihr hier:
https://www.strandkorb-gefluester.de/reise-gefluester/
Unterwegs in der Prosecco-Region
Die verschwiegenen Straßen und romantischen Städte erschließt man sich am fröhlichsten auf einer original italienischen Vespa. Super Service und geführte Tagestouren findet ihr bei Paolo Serravallo von Rent Dolomiti in Vittorio Veneto. www.vesparentdolomiti.it
Wer eine ausgedehnte Prosecco-Tour plant, sitzt besser nicht selbst am Steuerrad. Taxi-Königin Oriana kennt die besten Güter und die schönsten Strecken der Region. 5 Stunden, bis zu 6 Personen, 160 €, Tel.: +39 3404227040, http://www.orianancc.it
Noch mehr Genussadressen:
Weingüter & Restaurants
Weingüter
Außergewöhnlich und kompromisslos sind die Raritäten
von Silvano Follador auf dem Weingut Follador https://silvanofollador.it/
Die Villa Sandi mit ihren Spitzen-Prosecchi gehört zu den großen, mehrfach ausgezeichneten Erzeugern der Region. http://www.villasandi.it
Bei Marchiori lassen sich die für den DOCG-Prosecco verwendeten Trauben in Reinform probieren. www.marchioriwines.com
Restaurants
Tizianos Kräuterkreationen in dem zauberhaften Ristorante
Al Capitello in Tarzo sind einfach göttlich! www.ristorantealcapitello.com
Ein Garten wie im Paradies: Sternerestaurant La Corte mit dem Bistro La Cantinetta in Follina. www.lacortefollina.de
Fische und Meeresfrüchte in Vollendung werden im Ristorante
Ai Laghi (Auf Facebook ailaghi@yahoo.it) in Revine Lago serviert.
Das Interieur bezaubernd, die Küche gehoben bodenständig in der Osteria al Castellettoin Pedeguarda. www.alcastelletto.com
Hotels – zum Übernachten schön!
Zauberhafte Zimmer mit Aussicht und Pool im
Relais d’Arfanta in Tarzo. ANMERKUNG: Aufgrund der Covid-19-Situation ist der Saisoneröffnungstermin verschoben. Reservierung auf Anfrage http://www.relaisdarfanta.it
Schwelgen in venezianischer Opulenz in der
Villa Abbazia in Follina. http://www.hotelabbazia.it
Direkt neben dem ehrwürdigen Kloster in Follina liegt das
Dei Chiostri. www.hoteldeichiostri.com
Nicht verpassen!
Ein Besuch in der traditionsreichen Textilweberei Lanificio Paoletti in Follina mit ihrem kleinen Museum ist für alle Liebhaber wunderbarer Stoff ein absolutes MUSS. www.lanificiopaoletti.it