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Strandkorb-Geflüster

Der Zauber des Holunders


Amely Gräfin Platen ist auf dem Friederikenhof http://www.gut-friederikenhof.de, nahe dem Weißenhäuser Strand, aufgewachsen. Ihr Vater lehrte sie viel Wissenswerte über Pflanzen, Tiere und Bäume. Der Schäfer der Familie gab ihr Einblick in die Heilkraft der Pflanzen. Und auf dem benachbarten Schloss Weißenhaus lauschte sie den Geschichten und Märchen ihres Großvaters Clemens Graf Platen. Heute ist Amely selbst ausgebildete Märchenerzählerin und Heilpflanzenexpertin

Wer mit Amely Gräfin Platen draußen unterwegs ist, betrachtet die Natur mit anderen Augen. Denn die 47-Jährige Ostholsteinerin kennt sich aus mit magischen Kräften und verborgenen Mächten, die unsere Umwelt beseelen. Während wir am Wald entlanglaufen, um einige Holunderdolden zu ernten, fliegt plötzlich ein Buntspecht auf. „Da, ein Hollen-Vogel“, sagt Amely. Und schon sind wir beim Thema. Denn der Buntspecht gilt als Göttinnenbote. Denn seine Gefiederfarben Schwarz, Weiß und Rot sind im keltischen Raum den drei Lebensstadien von Geburt, Leben und Tod zugeordnet. Und genau diese Farben finden sich auch im Holunder wieder.
Wenn man der Pflanzen- und Kräuterkundigen glauben darf, ist der Wildstrauch nicht nur ein Busch, dessen Blüten im Juni betörend duften und sich wunderbar für köstlichen Sirup verwenden lassen. Vielmehr sei er das Zuhause von Mutter Holle.
Wohl jeder kennt Frau Holle, die uns durch ausgiebiges Schütteln ihrer Kopfkissen schneereiche Winter beschert. Und auch die gleichnamige Märchengestalt, die die faule Pechmarie bestraft und die fleißige Goldmarie mit Gaben überschüttet. Für Amely von Platen geht die Bedeutung der germanische Gottheit Mutter Holle weit darüber hinaus.

Götterwohnung

Das Glück ist mit denen, die einen Hollerstrauch im Garten haben

»Der Sage nach ist Mutter Holle eine weise, gütige Frau. Von einem unterirdischen Lichtreich aus wacht sie über die Menschen und begünstigt oder bestraft ihr Tun. Mutter Holle oder Holda, wie die Germanen sie nannten, wurde als Hausgöttin verehrt und man glaubte, dass sie im Holunder lebt. Holda heißt übersetzt so viel wie die Holde, Strahlende und Gütige. Man geht davon aus, dass sich die Sagenfigur Holle aus der nordischen Göttin Frigg, entwickelte, die im Holunderbusch wohnte und von dort aus über Haus und Hof wachte. Wenn sich im Garten, vor dem Haus oder der Scheune ein Holunderbusch ansiedelte, galt das als Segensbeweis der Hausgöttin. Dort wurde er gehegt und gepflegt. Von Zeit zu Zeit trug man auch Opfergaben in die sogenannte Holler-Ecke. Die Hausfrau goss zum Beispiel regelmäßig Wasser oder Milch an die Wurzeln, um die alte Göttin gnädig zu stimmen.

… und Kultstätte

Der Holunderstrauch verspricht Gesundheit

Zu den Zeiten, als das Wünschen noch half, hängte man dem Holunder Krankheiten an. Dazu bedurfte es eines guten Reimes und tiefer Entschlossenheit, die Krankheit los zu werden. Man befestigte ein rotes Band am Ast des Hollerbusches und sagte dazu beispielsweise dieses Sprüchlein auf: „Goden Abend, Herr Fleder, hier bring ick min Feber!“ Hatte man Zahnschmerzen, ging man rückwärts aus der Stube zum Holler, während man dreimal sagte: „Liebe Hölter, leiht mir einen Spälter, den bring ich Euch wieder.“ Dann entnahm man dem Holunder einen kleinen Span, rieb ihn an der schmerzenden Stelle und steckte ihn dann wieder in die Spalte. Der Baum würde den Schmerz mit sich in die Erde hinunterziehen.

Tor zu Unterwelt

Viel Leben steckt in den tot scheinenden Ästen

Schaut man sich den Hollerbusch genau an, wirken die knorrigen Äste, die das saftige Grün tragen, wie tot. Daher gilt der Holunder nicht nur als Domizil der Hausgöttin, sondern auch als ein Tor zur Unterwelt. Und damit zum Totenreich. Starb ein Familienmitglied, trank man bei der Totenwache Holunderblütentee. Für den Sarg nahm der Schreiner mit einer Elle aus Hollerholz Maß, derweil der Tote auf dem Reisig gebettet wurde. Auch die Grabkreuze des Verstorbenen wurden oft aus dem Strauchholz gefertigt. Schlug dieses wieder aus, nahm man das als gutes Omen.
Unglück, vielleicht sogar den Tod bedeutete es, wenn man einen Holunder fällte. Musste er doch einmal entfernt werden, durften das nur Kinder und Witwen tun. Denn sie genossen das besondere Wohlwollen der Holda. Oder man kündigte die notwendige Fällung respektvoll an.«

An dieser Stelle verschweige ich mal lieber, dass ich den Holunder in meinem Garten nichtsahnend einmal radikal beschnitten. Ein Jahr hat er gebraucht, um sich davon zu erholen. Großes Unglück ist mir erspart geblieben. Wer weiß, vielleicht bin ich ja doch gesegnet … Sicherheitshalber werde ich gelegentlich mit einem Glas Milch begießen. Oder eine weiße Speise „opfern“, zum Beispiel dieses Erdbeer-Joghurt-Parfait mit Holunder https://www.strandkorb-gefluester.de/2020/06/08/naschen-unterm-hollerbusch/

Götterspeise: ein Parfait von Erdbeeren und Holunder

Mehr zu Amely Gräfin Platen unter http://www.amalind.de