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Gasthof Krone:
Genuss braucht Zeit

Die „Krone“ in Aldein: Hier wohnen lauter gute Geister (Foto: M. Lohe)

Die „Krone“ in Aldein ist schon vieles gewesen in ihrer nahezu 500-jährigen Geschichte: ein Heubad, Zuflucht, Treffpunkt für Bauern und Erholungsuchende. Und ein Gasthof, der – wie es sich für ein gewachsenes Dorf in Südtirol gehört – zu Füßen der Pfarrkirche den Zeitläuften trutzt. Seit 1720 ist der Überetscher Profanbau mit seinem typischen Bogenfenster im Besitz der Familie Franzelin. Die jetzige Generation hat dem historischen Haus frisches Leben und Genuss eingehaucht. Dabei hat sie den Charme unangestrengter, authentischer Tradition erhalten. Das Ergebnis zeigt, dass die schlichte Bezeichnung „Gasthof“ im Fall der „Krone“ eine eher uncharmante Untertreibung – oder aber im besten Fall wörtlich zu nehmen ist.

Seelenort: die Bar im Gasthof Krone Foto: Anneliese Kompatscher

Speisen auf Gourmet-Niveau

Während die 15 Gästezimmer mit Bedacht, viel Holz und modernstem Komfort renoviert wurden, blieben die traditionsreichen Räume, in denen seinerzeit Einheimische wie Feriengäste im kräuterreichen und heilsamen Heu badeten, im Kern erhalten. Man speist in der originalen, mit wunderschön patiniertem Fichtenholz getäfelten Gaststube, an deren Deckenmitte ein handgeschnitzter, Erleuchtung spendender Heiliger Geist schwebt. Frühstückt in der lichtdurchfluteten Veranda neben einem Gemälde des Tiroler Helden Andreas Hofer, der den Südtirolern mindestens ebenso viel bedeutet wie der Heiland. Und genießt, was Küche und Weinkeller des Hauses Franzelin hergeben: eine fulminante Auswahl erlesener Weine und Speisen auf Gourmet-Niveau.

Die Familie Franzelin – das sind der Senior Andreas, der gute Geist des Hauses. Junior-Chef Georg, Gastgeber und kenntnisreicher Sommelier. Sein Bruder Peter, der die familieneigene Neuhütt-Alm samt Vieh bewirtschaftet. Und Senior-Chefin Alberta, eine begnadete Köchin, die für ihre Knödel ebenso gerühmt wird, wie für ihre legendäre Innereienküche. Ihr Credo lautet: „Ein gutes Essen braucht Zeit – die Zutaten ebenso, wie die Zubereitung und der Genuss.“

Die Franzelins: Gastgeber, wie man sich herzlicher kaum wünschen kann Foto: Mascha Lohe

Ein gutes Essen braucht Zeit – die Zutaten ebenso,
wie die Zubereitung und der Genuss.

Credo der Familie Franzelin

Glockengeläut und Apfelstrudel

Einen Eindruck von dem, was sie – und auch die anderen Mitglieder der Familie Franzelin – damit meinen, erfahren wir nach einer dreistündigen Wanderung hinauf zur Neuhütt-Alm. Auf 1.800 Höhenmetern gelangen wir auf eine Lichtung, die einen atemberaubenden Blick auf die Dolomiten freigibt.

Peter wacht über die Neuhüttalm, die einen fantastischen Ausblick bietet Foto: Mascha Lohe

Vor uns recken sich der schneebedeckte Rosengarten und der Latemar in den wolkenlosen Himmel. Auf den Wiesen zur Linken galoppieren Haflinger, rechts weiden Rinder an sanften, kräuterreichen Hängen – Schwarzbunte, Simmentaler und Südtiroler Grauvieh. Mittendrin steht Peter Franzelin, der Sohn, der von Mitte Mai bis Mitte Oktober und dann noch einmal von Weihnachten bis März hier oben ist und jede Kuh schon am Geläut erkennt. Und der nebenbei noch Apfelstrudel backt, die jede Sünde wert sind. Sobald die Dämmerung einbricht und die Wanderer schon längst wieder sicher zuhause angelangt sind, stellt er sich an den Berg. Mit dem Fernglas in der Hand. Was er da macht, wollen wir wissen. „Schauen und lernen“, sagt er. Wie die Kühe und das Wetter sich entwickeln. Und ob das Futter auf den kräuterreichen Almwiesen reicht, zum Beispiel.

Mit Liebe gemacht schmecken sogar Innereien

Schauen und lernen. Den Dingen Zeit geben. Und was man macht mit Liebe tun – so haben es die Franzelins gelernt. Sie können nicht anders. Was für ein Glück für die Gäste, die bei ihrer Einkehr in den Genuss der Produkte kommen, die die Familie aus der eigenen naturnahen Viehhaltung und Bewirtschaftung des Gartens beziehen.

Senior-Chefin Alberta serviert eine Saure Kuttelsuppe (Tripa alla parmigiana), eine Delikatesse, die Südtiroler Bauern sonntags zu sich nahmen. Eine delikate Kalbskopfsülze, die ihren Namen auch verdient, weil tatsächlich nichts anderes hineinkommt als das, was auch am Kalbskopf sitzt – und das Werk eines kompletten Arbeitstages ist. Und köstliche, von Hand gemachte Schlutzkrapfen mit frischen Kräutern.

Dazu wählt Junior Georg Franzelin aus dem reich bestückten Gewölbekeller die passenden Weine von kleinen, ausgesuchten Weingütern. Der kenntnisreiche Hotelier, der seinen Beruf mit „Bauer und Gastwirt“ angibt, hat vor fünf Jahren noch einmal eine Landwirtschaftslehre durchlaufen, um mehr darüber zu lernen darüber, wie man die beste Qualität von landwirtschaftlichen Produkten sicherstellt. Seine Erkenntnis lautet: Selber machen.

Mal wieder was gelernt

Hotelzimmer mit sonnigen Aussichten (Foto: Anneliese Kompatscher)

Und so schlafe ich nach einem grandiosen Abend im Gasthof Krone in von einem von Kronen-Intarsien geschmückten Betten satt und zufrieden ein.
Als Motto für mein weiteres Leben nehme ich von diesem wahrhaft gastfreundlichen Ort mit: Mit Zeit genießen. Schauen und lernen – was sind das für Aussichten!
http://www.gasthof-krone.it

Wenn ihr schon dort seid, im Gasthof Krone,
habe ich hier noch ein paar Ausflugs-Tipps für euch:

Feine Heimatkost in der Isi Hütte
Foto: Claudia Reshöft

Herzhafte Hüttenkost, die nach Südtirol schmeckt, kreiert Isolde Daldoss aus dem, was vor ihrer Haustür wächst. In ihrer Isi Hütte kommen bodenständige, unverfälschte Gerichte auf den Tisch. Künstliche Geschmacksverstärker sind in ihrer Küche tabu, die Zutaten werden mit Respekt behandelt, alles wird frisch zubereitet. Mehr zu Isis Hütte findet ihr hier: isi.st

Goaßlschnölln bei einer Wanderung zum Sonnenaufgang auf dem Weißhorn
Foto: Claudia Reshöft

Morgenwanderung auf das Weißhorn
Man muss zwar weit mitten in der Nacht aufstehen, aber wenn man auf dem Gipfel des Weißhorns angekommen ist und die aufgehende Sonne über die Bergwelt der Dolomiten schleicht, geht einem sprichwörtlich das Herz auf! Start ist am Parkplatz Jochgrimm, weiter geht’s auf dem Weg „H“. Der Aufstieg dauert etwa eine Stunde.

Noch mehr schöne Genießer-Ziele in Südtirol findet ihr unter https://www.strandkorb-gefluester.de/reise-gefluester/

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Reise nach Ulten:
Ein Tal voller Schätze

Das Ultental ist meine Berg-Heimat. Ich bin gleich mehrere Male dort gewesen. Und so manches Mal hat mich der Fotograf Peter von Felbert begleitet, von dem die meisten Fotos auf dieser Seite stammen (https://felbert.de).

Mysthisch: der Zoggeler Stausee (Foto: Claudia Reshöft)

Wer ins Ultental reist, landet in eine Sackgasse. Womöglich ist das der Grund dafür, dass dieser beschauliche Flecken in Südtirol sich seine Ursprünglichkeit bewahrt hat. Im Osten steigen mit Lärchen bewaldete Felswände steil auf. Im Westen schmiegen sich jahrhundertealte Höfe und Häuser an sonnige Hänge. In der Mitte sammelt sich das Wasser des Flusses Falschauer im türkisfarbenen Zoggler Stausee, der 1995 ein Dutzend der einst schönsten und ältesten Ultener Höfe unter sich begrub.

Noch heute wird die vom Massentourismus verschonte Region geprägt von kleinbäuerlicher Kultur und von der Liebe der Menschen zu ihrem Land. Denn was sie verbindet, ist die Besinnung auf althergebrachte Traditionen, der nachhaltige Umgang mit natürlichen Ressourcen, und der achtsame Genuss.

Auf Sisis Spuren

Am Eingang des Tals, etwa elf Kilometer südwestlich von Meran, liegt das Dorf St. Pankraz. Unser Weg führt ins drei Kilometer entfernte Mitterbad, das Anfang des 19. Jahrhunderts wegen seiner eisen- und magnesiumhaltigen Heilquellen zu den bekanntesten Bädern im deutschsprachigen Raum gehörte. Zu den prominenten Gästen zählten Reichskanzler Otto von Bismarck, Kaiserin Elisabeth von Österreich, die Brüder Heinrich und Thomas Mann. Letztgenannter beendete hier seinen Roman über die Buddenbrooks. Von der einstigen Pracht ist aber nichts übriggeblieben. Seit 1919 wechselten mehrfach die Besitzer, was dazu führte, dass das Badehaus und sämtliche Nebengebäude mittlerweile komplett verfallen sind. Dennoch lohnt sich ein Abstecher durch die stille, wildromantische Bergwelt bis zur Quelle im Marauntal.

Es ist Zeit für einen kleinen Mittagsimbiss auf dem Raffeinhof, gut zwei Kilometer oberhalb von St. Walburg. Was in dem gemütlichen, kleinen Buschenschank aufgetischt wird, stammt ausschließlich aus eigener Produktion: die Butter, das Fleisch, der der Speck – und die sensationellen Dinkel-Brotklee-Nocken.

Alles Gute kommt aus Ulten

In St. Walburg pulsiert im Eggwirt (www.eggwirt.it) das Herz des Dorfes. Hier versammeln sich Einheimische zu Bier und Wein. Kein Wunder, denn hier geht es so urig zu wie vor 600 Jahren – eine so lange Tradition hat der Eggwirt, der einst als Thingstätte diente. Die originale „Eckstube“ von 1611 wirkt so gemütlich, dass man am liebsten gar nicht mehr aufstehen mag. Erst recht nicht nach der Terrine vom Ultner Ziegenkäse mit feinem Gselchten vom heimischen Rind auf einem Salatbett.

In der Backstube Ultner Brot

Im Haus gleich nebenan wird früh aufgestanden. Richard Schwienbacher knetet in der Backstube den Teig für Vollkornbrote aus selbst angesetztem Sauerteig. Denn was in der Bäckerei Ultner Brot (www.ultnerbrot.it) in den Ofen kommt, wird nach guter alter Handwerkstradition aus naturbelassenen Zutaten hergestellt. Bestes biologisches Getreide wie Weizen, Roggen, Dinkel und Kamut wird kurz vor dem Verarbeiten in der eigenen Steinmühle gemahlen. Dazu kommt reines Quellwasser aus den Ultner Bergen, gewürzt wird mit mineralstoffreichem Steinkristallsalz. Oder, wie beim traditionellen Ultner Brot zusätzlich noch mit Fenchel, Kümmel und Brotklee.

Gegen alles ist ein Kraut gewachsen

In St. Walburg ist der Hofladen Kräuterreich Wegleit zu finden, in dem sie die ursprünglichsten Produkte der Region anbietet: selbst hergestellte Cremes und Salben, sowie Kräutertees für jede Befindlichkeit und Laune. Wer mehr über die Naturlebensschule von Waltraud Schwienbacher (https://www.strandkorb-gefluester.de/2020/04/07/die-frau-die-ein-ganzes-tal-veraendert-hat/) erfahren möchte, dem sei eines ihrer Seminare (www.kraeuterreich.com) empfohlen.

In Kuppelwies betreibt das Label Bergauf (bergauf.it) einen Showroom. Dort wird nach streng nachhaltigen Kriterien Wolle von Ultner Bergschafe zu Wohnaccessoires, Teppichen, Matratzen und Bekleidung verarbeitet.

Gutes zum Mitnehmen

Was man aus den Zweigen von Lärche, Weide und Haselstrauch machen kann, zeigt der Bauer und Korbflechter Erhard Paris von der Moritzhöhe. Er flicht mit Engelsgeduld und Fingerfertigkeit Körbe und Dekorationsobjekte auf so meisterliche Weise, dass der Bozener Star-Designer Matteo Thun auf ihn aufmerksam wurde.

Ein paar Kilometer weiter bergan geht’s auf den Bio-Hof Unterschweig. Dort stellen Anna und Alois Berger hocharomatischen, würzigen Bergkäse her. Anna Berger würzt ihre Laibe mit Kräutern wie Oregano, Bockshornklee, Goldmelisse oder Kornblumen von den eigenen Kräuterterrassen. Ich entscheide mich für den „Blütenzauber“, setze mich aufs nächste Bänkchen, packe das Ultner Schüttelbrot aus und gönne mir eine wohlverdiente Jause. Und mit einem Mal fühlen wir uns dem Himmel ganz nah.

Kontakt

Raffeinhof: E-Mail raffeinhof@gmail.com

Erhard Paris: Mobil: +39 339 1713897.

Biohof Unterschweig: unterschweig@brennercom.net

Hotel-Tipps

 Lässig-familiär und höchst komfortabel: Hotel Waltershof, www.waltershof.it

Gesundheitsbewusste Genießerküche: Hotel Unterpichl, www.unterpichl.it

Kreativ und nachhaltig: Hotel Schweigl, http://www.hotelschweigl.it

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Wie Traudi Schwienbacher das Ultental verändert hat

Kräuter sind ein Lebenselixier
Foto: Mascha Lohe

Wenn Waltraud Schwienbacher aufsteht, schlüpft sie in ihre Wollschuhe und bricht zu ihrem täglichen Waldspaziergang auf. Sie pflückt unterwegs eine Handvoll Kräuter, die den Sommer überdauert haben, und braut sich, zuhause wieder angelangt, daraus einen Tee und setzt sich in die holzgetäfelte Stube des Wegleithofs in St. Walburg. Die frühe Ruhe ist ein kostbarer Moment im bewegten Alltag der 70-Jährigen, denn sie hat ihre Heimat, das Ultental in Südtirol, aus dem Dornröschenschlaf geweckt und Menschen von Ideen überzeugt, an die sie eigentlich nicht so recht hatten glauben wollen – mit unerschütterlichem Glauben und sanfter Beharrlichkeit.

In den fortschrittsgläubigen 1980er Jahren waren einige der rustikal-charmanten Bergbauernhöfe des Ultentals niedergerissen worden, um zweckmäßigen Neubauten Platz zu machen. Die Kleinbauern konnten von den Schleuderpreisen, die sie für das Fleisch und die Milch ihrer Tiere erhielten, kaum mehr leben. Die Töchter und Söhne versuchten in den Städten des Meraner Landes ihr Glück. „Niemand hier wusste mehr, welche Schätze sich unmittelbar vor unserer Haustür befanden, wie etwa die Wolle unserer Bergschafe, die zu der Zeit noch auf der Mülldeponie landeten, weil sie wertlos schien. Als ich davon erfuhr, wurde mir klar: Irgendetwas stimmt nicht an der Art und Weise, wie wir mit unseren Ressourcen umgehen“, erinnert sich Waltraud Schwienbacher und streicht eine silbergraue Strähne aus ihrer Stirn.

Singende Überredungskunst

Sie selbst war aufgewachsen mit einer Mutter, von der sie alles lernte über den Reichtum und die Heilkraft der Natur. Schon mit 12 Jahren strickte die kleine Traudi, wie sie von allen genannt wird, begeistert. Später, da war sie selbst bereits Mutter von vier Kindern, färbte sie Wolle mit Brennnessel, Malve und Zirbennadeln und beschäftigte sich eingehend mit der „Wunderfaser“, wie sie die Tierhaare nennt. „Wolle ist so etwas wie eine tragbare Klimaanlage. Sie nimmt Schadstoffe aus der Umwelt auf und neutralisiert diese. Sie fördert den Zellaufbau im menschlichen Körper und wirkt entzündungshemmend. Allein damit könnten wir unsere halbe Hausapotheke ersetzen, stattdessen blockieren wir unseren Lebensfluss durch synthetische Faserbeimischungen.“ Was kämpferisch erscheint, klingt mit Traudis melodischer Stimme so beschwörend, dass man versucht ist, den Kopf über die eigene Dummheit zu schütteln.

Die Ultener Bergschafe gehören zu Traudis Schätzen vor der Haustür
Foto: Mascha Lohe

Auf diese Weise hatte Traudi damals, vor über einem Vierteljahrhundert, wohl auch die Schafbauern dazu überredet, ihr die Schurwolle zu überlassen. Und daraus galt es etwas zu machen.
Die Visionärin versammelte eine Handvoll Menschen um sich, die wie sie selbst das bäuerliche Kulturgut bewahren wollten. Sie arbeiteten ein von der Schule bis zum Arbeitsplatz alle Lebensbereiche umfassendes Konzept aus unter dem Titel Lebenswertes Ulten. Mit dem Ziel, nur mit natürlichen Rohstoffen zu arbeiten und ihrer angestammten Heimat mehr Lebensqualität und eine Perspektive zu geben. Was nichts weniger bedeutete als den Bauern Möglichkeiten zu eröffnen, wie sie ihre hofeigenen Ressourcen optimal nutzen und sich so zusätzliche Einkünfte sichern, die Verwertung von Rohstoffen, wie Holz, Wolle und Pflanzen voranzutreiben und kulturelle Bildungsangebote zu schaffen. „Denn die Natur ist die beste Hochschule, an der wir studieren können“, ist Traudi überzeugt.

Pullover aus Abfall und Salben aus Unkraut

Verrückt sei sie geworden, die Traudi, die wolle aus Abfall Pullover stricken und aus Unkraut Salben machen – was für eine spinnerte Idee. So redeten sie, die Leute im Tal. Viel Spott und Argwohn schlug der Bergbäuerin entgegen. Wohl auch, weil sie Sätze sagte wie: „Wenn wir die Menschen zur Natur zurückführen, werden sie heiler.“ Worte, die in den Augen der meisten unverbesserlich rückständig klangen. Verspottet und ausgelacht wurde sie dafür. „Oft habe ich überlegt, ob ich alles hinschmeiße, aber am nächsten Morgen wurde ich wach und wusste: Ich muss weitermachen, das ist der richtige Weg.“
Sie kämpfte weiter, leistete Überzeugungsarbeit in der Gemeinde, begeisterte gestandene Handwerksmeister und Kräuterkundige von ihrer Idee, eine Winterschule (www.winterschule-ulten.it) zu gründen, an der die Ultener in den weniger arbeitsreichen Monaten althergebrachte Handwerke mit staatlich anerkanntem Abschluss wieder erlernen konnten.

Foto: Mascha Lohe

Es waren vor allem die Jungen, die Traudis Visionen folgten, wie zum Beispiel die Dorothea Egger. Die 47-jährige Kleinbäuerin und Mutter von sechs Kindern: „An der Traudi hat mir imponiert, dass sie anders war als alle anderen, zu dem stand, was sie sagte und sich ihre Träume nie ausreden ließ.“
Aber auch Menschen von außerhalb erkannten, was für ein Potenzial sich im verschlafenen Ulten herauskristallisierte. Als der renommierte Designer und Architekt Matteo Thun (www.matteothun.com) das Hotel Pergola (www.pergola-residence.it) in Algund plante und nach Traditionshandwerkern suchte, wurde er über die Winterschule fündig. Hier hatte der Bauer Erhard Paris das Flechten gelernt und es zur Meisterschaft gebracht. Der Star-Designer und der Landwirt gestalteten gemeinsam schwebende Trennwände für das Restaurant. Handgestrickte und pflanzengefärbte Kissen für die Residenz kamen ebenfalls aus den Werkstätten der Winterschüler. Und doch sollte es noch einmal Jahre dauern, bis die letzten Kritiker verstummten.
„An einen dauerhaften Erfolg haben nur wenige geglaubt“, sagt Traudi. Zu viert saßen sie damals in der behelfsmäßigen Schule, mittlerweile sind es Jahr für Jahr knapp 500 Absolventen. Heute wissen Bäuerinnen wieder, wie man käst. Ihre Männer drechseln, schnitzen und flechten. Junge Frauen spinnen, weben, filzen und sammeln Kräuter für heilkräftige Tees und pflegende Cremes. Sogar in den Hotels der Region hat die Natur mit ursprünglichen Produkten und naturnahen Wellnessangeboten wieder Einzug gehalten.

… und es geht weiter bergauf

Spricht man Traudi Schwienbacher auf den Erfolg ihres Lebenswerks an, klingt sie gewohnt bescheiden: „Mit dem, was wir hier tun, haben wir ja nur eine kleine Wiese geschaffen, aber es ist schon schön zu sehen, wie der Wind die Samen weiterträgt.“ 

Das Herz des Ultentals: Traudi Schwienbacher Foto: Mascha Lohe

Die Koordination der Winterschule hat sie in jüngere Hände abgegeben, an ihre Tochter Franziska. Und doch hat die Visionärin kaum eine freie Minute: Sie unterrichtet weiterhin selbst, macht Kräuterführungen, betreibt in St. Walburg ihren eigenen Hofladen namens Kräuterreich (www.kraeuterreich.com) hält Vorträge im In- und Ausland und gibt immer wieder neue Anstöße für das Generationenprojekt „Lebenswertes Ulten“. So hat sie das Wollvermarktungsprojekt Bergauf (www.bergauf.it) ins Leben gerufen. Dort werden die jährlich 90 Tonnen Wolle des Ultener Bergschafe gesammelt und nach genossenschaftlichem Prinzip weiterverarbeitet – zu Teppichen, Matratzen, Accessoires und Kleidung. Sie selbst schläft unter einer Wolldecke auf einer wollenen Matratze und kleidet sich von Kopf bis Fuß mit pflanzengefärbter Seide oder Wolle – bis hin zu den Schuhen, in die sie an jedem neuen Morgen schlüpft.

Das Ultental blüht. Immer mehr Menschen hier können wieder von ihrer Arbeit leben, weil die Natur für sie zum Handwerkszeug und zur Lebensschule geworden ist – so wie Traudi es sich erträumt hatte. Die Winterschule hat das Tal verändert, ohne Frage. Auch wenn manch ein Ultener überzeugt ist, es sei doch alles schon immer so gewesen wie es heute ist.