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Meeres-Rauschen

Heimat. Das ist jetzt. Hier

Der Politikwissenschaftler Roland Sturm von der Uni Erlangen hat vermutet, es gehe wohl darum, dass der Staat auf bestimmte Dinge aufpasse. Ja, aber worauf soll er denn aufpassen, der Staat? Ich hätte da so ein paar Ideen: Zum Beispiel darauf, dass mich komplett (!) unbekleidet joggende Touristen auf dem idyllischen Feldweg zur Ostsee nicht dazu bringen, schon morgens den Kopf hängen zu lassen, weil ich da einfach nicht hinschauen kann. Das Heimatministerium könnte auch durchfahrenden Autofahrern beibringen, dass Flachmänner und Fast Food-Abfall absolut nix in der Natur zu suchen haben. Ich vermute mal, in Wahrheit soll es darauf auspassen, dass nicht so viele fremde Leute in unser Land kommen, die unsere schöne Kultur und unsere guten Sitten kaputtmachen … 
Ich darf leben, wo andere Urlaub machen wollen. Über mir ein Himmel, der nirgends blauer ist als hier. Darunter die zu jeder Jahreszeit schöne Ostsee. Keine Bettenburg versperrt mir die Sicht, stattdessen kuscheln sich Backsteinhäuser in das Grün. Auf den Feldern machen sich die Bauern bald an die Ernte. Man riecht den Herbst schon, wenn der Raps gedroschen wird. 

Man riecht den Herbst schon,
wenn der Raps gedroschen wird.“ 

Wo ein Fischbrötchen besser schmeckt als Sushi

Meine Heimat riecht nach Ostseeluft, nach Ackererde und Wald. Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, von dem Flecken vertrieben zu werden, an dem man groß geworden ist. Die Landschaft, die Düfte und den Geschmack der Kindheit hinter sich lassen zu müssen – unfreiwillig, aus Not oder blanker Angst. Wie es ist, nach Flucht und Vertreibung an einem nicht vertrauten Ort Wurzeln schlagen zu müssen. 
Laut einer Infratest-dimap-Umfrage ist der Begriff „Heimat“ überwiegend positiv besetzt. Für rund neun von zehn in Deutschland lebenden Menschen ist er eng verknüpft mit einem Ort oder mit „Menschen, die ich liebe oder mag“, andere denken dabei an „Sicherheit und Geborgenheit“. Ich bin nach Jahren aus all diesen Gründen dorthin zurückgekehrt, wo mir ein Fischbrötchen besser schmeckt als Sushi, wo Menschen leben, die ticken wie ich, und wo Schimpfworte, die im Streit aus einem herauswollen, auf Plattdeutsch so milde klingen, dass man sich danach wieder problemlos vertragen kann. Hier fühle ich mich geborgen und kann sein, wie ich bin. 

Die Heimat tragen wir in uns

Das Bundesheimatministerium soll ja tatsächlich wichtige Aufgaben erfüllen. Es will unsere Traditionen bewahren, ererbtes Kulturgut pflegen und dafür sorgen, dass Menschen in ländlichen Regionen nicht abgehängt werden. Staatliches Aufpassen allein wird das aber nicht richten. 
Die Heimat, die tragen wir in uns. Wir alle. Deshalb sollten wir sie gut behandeln – die Orte und Menschen und die Natur, die wir so sehr lieben. Wenn wir den Müll nicht einfach in der Landschaft entsorgen und beim Joggen Schlüpfer anziehen, wäre das doch schon mal ein guter Anfang, oder? 

Warum ich so gern auf dem Land lebe? Deshalb! https://www.strandkorb-gefluester.de/2020/03/20/auf-dem-dorf-wohnt-das-glueck/

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Land-Lauschen

Auf dem Dorf
wohnt das Glück

Wenn ich aus meinem Wohnzimmerfenster gucke, blicke ich über den Rasen auf einen Knick. Dahinter liegt ein Acker, dann wieder ein Knick, dahinter wohnt die nächste Nachbarfamilie. Gehe ich aus der Haustür, ist da wieder ein Knick, dahinter Äcker, ein Wäldchen … Mein Dorf, das nur aus einer Straße besteht und genaugenommen als Weiler bezeichnet werden muss, ist mit 47 Einwohnern in 22 Häusern klitzeklein.
Früher haben hier Landarbeiter und Bauern gelebt, heute arbeiten vor Ort noch ein Gärtner, ein Stalleinrichter, ein Tischler und ein Malermeister, der zugleich unser Bürgermeister ist.
Wir haben hier keine Kirche, nie gehabt. Der Kaufmannsladen und die Dorfschänke haben vor Jahren dicht gemacht. Es leben zu wenige Menschen hier. Dafür haben wir Wald. Viel Wald. Und Felder. Und Tiere. Vor meinem Haus zieht jeden Morgen ein Rudel Damhirsche vorbei, in der Nähe nistet ein Seeadlerpärchen, der Fuchs schleicht sich in aller Herrgottsfrühe mit seiner Beute über die Straße und in manchen Sommern bangen wir, ob der Storch trotz der Trockenheit seine Jungen wohl diesmal durchbringen wird. 

Einer opfert seine Zeit für den anderen

Was geht, kaufe ich in den Hofläden in unmittelbarer Umgebung ein. Ich kenne die Bauern und vertraue ihnen, das ist für mich wichtiger, als dass alles „Bio“ ist. Meine Eier kriege ich von einer Nachbarin, deren Hühner auf einer satten grünen Wiese laufen, wobei jetzt, mit der beginnenden Mauser, die eierkarge Zeit beginnt, weil die Hennen nicht mehr so legefreudig sind. Na, dann isst man halt weniger. Das, was die Natur gerade hergibt. 
Vielleicht sind die Menschen deshalb mehr bei sich, irgendwie mehr sie selbst.
Manches geht langsamer, vieles braucht mehr Zeit. Da konzentriert man sich auf das was wirklich im Leben zählt: die Gemeinschaft. Deshalb sind die wichtigsten Nachrichten die aus den Vereinen, die gemütlichsten Feste und kulturellen Highlights des Jahres veranstalten die Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr.
Einer, der sich hier dicke machen will und glaubt Wer-weiß-was darzustellen, kriegt nicht so leicht ein Bein auf den Boden, getreu dem plattdeutschen Spruch „‚‘n beten Grütt ünner de Mütz is veel nütz. Aver ‘n groot Haart ünner de West is dat Best“, der so viel bedeutet wie „Grips mag zu vielem nütze sein, aber worauf es ankommt, ist ein großes Herz.“ Deshalb packen die Leute hier zu. Neben Arbeit und Familie löscht die Feuerwehr Brände – ehrenamtlich, weil ihnen die Nächsten nicht gleichgültig sind. Die Sportvereine, Pfadfinder, Landfrauen, der Heimatverein und die Gemeindevertreter opfern einen großen Teil ihrer Freizeit – für eine Gemeinschaft, in der jeder den anderen kennt. 

‘n beten Grütt ünner de Mütz is veel nütz.
Aver ‘n groot Haart ünner de West is dat Best.

Plattdeutsche Weisheit

Was im Leben wirklich zählt

Und wenn man nicht genug über jemanden weiß, dann zieht man halt seine eigenen Schlüsse. Ich zum Beispiel bin etwa zwölf Dörfer weiter geboren und aufgewachsen, aber erst vor einigen Jahren hierhergezogen. Leute aus dem Nachbarweiler, der gerade mal einen Kilometer entfernt ist, halten mich für eine Geschiedene, die den lieben langen Tag nichts anderes zu tun hat, als mit ihrem Hund spazieren zu gehen. Das hat mir meine Nachbarin zugetragen, die mich nicht nur mit Eiern, sondern auch – wenn‘s dann an der Zeit ist – mit einem ausgedienten Huhn beschenkt. Die sich um die Tiere kümmert, wenn ich unterwegs bin und sie verarztet, wenn etwas nicht in Ordnung ist und über die Zeit zur Freundin geworden ist. Ein bisschen Dorfklatsch gehört eben dazu, denn die Winter sind lang und viel los ist dann nicht. Im Übrigen gefällt mir der Gedanke, nur das zu tun, wonach mir gerade ist … 

Es ist anders hier …

Der Strukturwandel verwandelt den ländlichen Raum, er blute aus, heißt es immer wieder. Ob mein Dorf eine Zukunft hat? Bestimmt! Drei Häuser weiter ist im Frühjahr ein junges Pärchen eingezogen. Und der alte Dorfkrug wurde von Grund auf mit viel Geschmack und Liebe saniert. Von Leuten aus der Stadt, die lieber hier wohnen wollen als dort. Vielleicht weil die Welt hier kleiner ist. Stiller. Entspannter. Und weil der Himmel hier am Tag weiter und in der Nacht so viel dunkler ist, dass jeder Augenblick und jeder einzelne Mensch ein wenig heller strahlt. Ich jedenfalls will hier nicht mehr weg!

* Inzwischen bin ich doch noch einmal umgezogen und wohne ein paar Dörfer weiter Richtung Ostsee. Auch da ist es schön!

Was mir in meinem neuen Zuhause aufgefallen ist, lest ihr hier: https://www.strandkorb-gefluester.de/2020/05/02/heimat-das-ist-hier/