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Primavera: Ute Leube, die Bio-Pionierin

Sie wollten die Welt verbessern, Ute Leube und ihre Freunde. In den 1980ern gründeten sie ein Unternehmen, das ätherische Öle produziert. Bis heute ist die 68-Jährige überzeugt: wirtschaftlicher Erfolg und nachhaltiges, faires und respektvolles Handeln auf jeder Ebene schließen einander nicht aus. Der Aufstieg von Primavera Life erfolgreichen Hersteller von Aromaöl und Naturkosmetik, scheint ihr Recht zu geben. Nun stellt sich die Frage nach der Unternehmensnachfolge. Doch wie stellt man sicher, dass die gelebte Vision von potenziellen Nachfolgern gewahrt bleibt?

Inspiration aus dem Königreich

Über Korsika weht der Duft der Macchia, als ich Ute Leube treffe. Sie kommt gerade zurück aus Bhutan. Das in die Berge des Himalayas eingebettete Mini-Königreich hält das Bruttoinlandsglück seiner Bewohner für wichtiger als das Bruttosozialprodukt. Deshalb hat es vier Säulen als Staatsräson manifestiert: 1. die Förderung kultureller Traditionen, 2. den Schutz von Umwelt und Kulturlandschaft, 3. die Förderung sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Entwicklung, sowie 4. Verwaltungsstrukturen, die diesem Ziel dienen. Nur wenn alle vier Säulen gleich groß sind, lässt sich ein stabiles Haus darauf bauen, sind die Bhutaner überzeugt.

Dieser Gedanke gefällt Ute Leube. Die Mitgründerin von Primavera Life findet sich und die Unternehmensphilosophie darin wieder. Und weil sie und ihr Geschäftspartner Kurt L. Nübling die Entwicklung in Bhutan unterstützen wollen, beziehen ihr biozertifiziertes Lemongrass-Öl von einem örtlichen Projekt. Dort leisten die Bauern das, was sich die Allgäuer Bio-Pioniere vor über 30 Jahren vorgenommen hatten: beste Bio-Aromaöle aus Wildsammlungen oder nachhaltigem Anbau erzeugen, und das bei fairer Bezahlung. Denn nur so kann die Welt gerechter werden. Und besser.

Norddeutsche Seele auf Erkundungstour

Primavera Ute Leube ist immer auf der Suche nach Inspiration. In den Bergen Korsikas pflückt sie Wildblumen
Unterwegs in den Bergen Korsikas mit Primavera Life-Gründerin Ute Leube
Foto: Claudia Reshöft

Ute Leube ist größer als die meisten Frauen ihrer Generation. Das silberne Haar trägt sie kurz geschnitten, die Kleider fallen weit und weich. Eine typisch Norddeutsche würde man denken. Wäre da nicht ihre leise Stimme und der tastende, beinahe tänzerische Gang. Aufgewachsen ist sie nahe Bremen. Sie ist ein stilles Kind, „unsicher, schüchtern, nicht wissend, wo mein Platz ist auf dieser Welt“, wie sie sagt. Nach dem Abi und ihrer Ausbildung zur Medizinisch-technischen Assistentin zieht sie nach Göttingen. Sie studiert Landwirtschaft und geht mit ihrem damaligen Freund für ein Jahr in die USA. Die indianische Kultur zu ganzheitlichem Heilen inspiriert sie derart, dass sie ihr Interesse an westlicher Medizin verliert. Doch egal, wo sie ist, am wohlsten fühlt sie sich in der zweiten Reihe. Oder lieber noch weiter hinten, da wo man unsichtbar bleibt und dennoch Gutes bewirken kann.

Entdeckung der Aromaöle

Primavera Ute Leube sammelt Blüten am Wegesrand
Ute Leube sammelt Pflanzen,
wo immer sie unterwegs ist
Foto: Claudia Reshöft

In München zieht sie in eine WG, zusammen mit ihren Mitbewohnern betreibt sie einen Naturkostladen. Ihr Sohn wird geboren, sie trägt ihn in einem Tuch auf dem Rücken während sie Kisten schleppt und Kartoffeln eintütet. Es ist ein gutes Leben, gespeist aus ökologisch erzeugten Nahrungsmitteln – es hätte gern so weitergehen können. Aber dann kam dieser Tag, der alles veränderte. „Unser Gemüsehändler brachte ein kleines Fläschchen mit Rosmarin-Öl mit, das angeblich wahre gesundheitliche Wunder bewirken sollte. Mir als Hardcore-Naturköstlerin kam es seltsam vor, Pflanzendüfte zu destillieren und sie in einen Flakon zu sperren. Aber meine Neugier siegte“, erinnert sie sich.

Vom Aufstieg und Abschieden

Ute Leube will mehr darüber erfahren. Sie belegt Mitte der 1980er-Jahre einen Kurs bei der damals führenden Aromatherapie-Expertin Susanne Fischer, spätere Fischer-Rizzi. Hier trifft sie auf Kurt L. Nübling, einen der Mitgründer des Seminarhauses. „Hier verstand ich, dass meine Nase nicht nur zum Ein- und Ausatmen da ist. Die größte Entdeckung aber war, welch heilsame, pflegende Wirkung Pflanzen auf Seele und Haut haben.“ Am Küchentisch beginnen Leube, Nübling und Fischer zu spinnen, wie man das Wissen mit anderen Menschen teilen könne. „Aomatherapeutische Öle waren nichts Neues. Aber wir wollten sichergehen, dass unsere Öle naturbelassen sind und wissen, wie sie hergestellt werden“, erinnert sich Ute Leube. „Gleichzeitig wollten wir soziale Projekte in den Anbauländern unterstützen.“ Ab jetzt kennt die Kreativität der drei keine Grenzen mehr. Während Nübling mit Alabaster-Lampen und experimentiert, koordiniert Ute Leube die Kooperation mit Anbaupartnern. Und die in der Szene bekannte Susanne Fischer-Rizzi ist das Gesicht nach außen.

Ute Leube: Die Frau aus der zweiten Reihe

Im Frühjahr 1986 wird Primavera offiziell gegründet. Das junge Unternehmen präsentiert sich auf der Edelstein-Messe in Idar-Oberstein. „Das war ein kolossaler Erfolg! Mit einem Schlag hatten wir 250 Therapeuten-Adressen“, sagt Ute Leube. Darauf konnten sie und ihre Mitstreiter aufbauen. Während ihre Kinder schlafen, packt Ute Leube Päckchen, die Kartons kommen gebraucht aus dem Supermarkt. Das Start-up geht durch die Decke. Eine Weile lang funktioniert das Triumvirat prima. Doch in dem Haus, an dem sie gemeinsam bauen, verschiebt sich die Statik. Es knirscht gewaltig, Fischer-Rizzi steigt aus. Übrig bleiben Nübling und Leube.

Ute Leube kümmert sich fortan weiter um die Prozesssteuerung, den Einkauf, den Kontakt zu den Anbaupartner und die Produktentwicklung und findet sich, öfter als ihr lieb ist, hinter dem Schreibtisch wieder. Kurt L. Nübling, ein charismatischer Visionär und leidenschaftlicher Entdecker, widmet sich dem Marketing. Er in der ersten, sie in der zweiten Reihe – die perfekte Rollenverteilung, um den Markt mit hochwertigen Aromaölen und Naturkosmetik zu erobern.

Primavera
Verliebt in alles, was wächst und blüht: Ute Leube
Foto: Pascaline Photographies

Geld? Für Primavera das Mittel zum Zweck

„Wir haben Primavera gegründet aus der Begeisterung für unsere Produkte und für die Art und Weise, wie sie entstehen. Sie haben einen Mehrwert für Bauern, Verbraucher und die Umwelt. Geht es um Strategien für die Zukunft, steht für uns im Fokus wie wir noch nachhaltiger wirtschaften können. Das Geld interessiert uns erst dann, wenn es notwendig wird“, sagt Ute Leube. Und es klingt überzeugend.
Aber so viel Idealismus muss man sich erst mal leisten können. Schon einmal hatte die kompromisslose Weltverbesserei das Unternehmen in eine heikle Schieflage bugsiert. Mitte der Nuller Jahre befindet sich Primavera auf Expansionskurs und investiert kräftig in die Eroberung des US-amerikanischen Marktes. Doch die Einführung des Ratings führte zur Vollbremsung, die Banken lassen sie hängen. Ute Leube schwitzt hektische Tage und schlaflose Nächte über Finanzierungsplänen und hält den Atem an. Doch dann findet sich ein Investor und Primavera blüht auf.

Das Unternehhmen loslassen fällt schwer

Den Ruf der „durchgeknallten Öko-Spinner“ haben die Allgäuer Bio-Pioniere längst abgeschüttelt. Über 30 Jahre später gehört Primavera Life mit 200 Mitarbeitern zu den europaweit führenden Produzenten von Aromaöl und Naturkosmetik http://www.primaveralife.com. 2019 wurde es zur Marke des Jahrhunderts gekürt (https://www.deutsche-standards.de/marken/detail/primavera-144/). Das Unternehmen ist gut strukturiert – und ist seinem Grundsatz treu geblieben. Ute Leube, die 2012 zur Unternehmerin des Jahres gekürt wurde und damit ins Rampenlicht rückte, stieg ein Jahr später aus dem operativen Geschäft aus. Seither sitzt sie im Beirat von Primavera Life und denkt darüber nach, wie sie dem Entdecken und Forschen und den Begegnungen mehr Raum geben kann. Bisher schlug der Versuch fehl, komplett aus dem Geschäft auszusteigen. Denn wem vertraut man ein Unternehmen an, das untrennbar verbunden ist, mit den ureigenen Visionen? „Wir waren so sehr mit dem beschäftigt, was wir tun, dass wir nicht rechtzeitig daran dachten, die Unternehmensnachfolge zu regeln“, meint sie selbstkritisch.

Primavera Blumen und Kräuter sind Ute Leubes ständige Begleiter und für ihr Unternehmen
Ute Leube möchte ihr Unternehmen in guten Händen wissen
Foto: Claudia Reshöft

Erfolg hat, wer sich treu bleibt

Die Ansprüche an potenzielle Nachfolger ist hoch, mancher Versuch ist bereits gescheitert: „Wir konnten uns nicht vorstellen, dass jemand anders denkt und nicht versteht, was für uns Gründer selbstverständlich ist.“ Aber das, was sie jetzt beginnen, könnte eine Lösung sein: eine integrale Führungskultur nach dem Spiral Dynamics- Prinzip von Ken Wilber. „Dann würden in einem sich selbst regulierenden Führungskreis fünf Mitarbeiter aus unseren eigenen Reihen sitzen, die unterschiedliche Qualitäten mitbringen: Organisatoren, Visionäre, Integratoren und Akteure nach außen. Wir arbeiten derzeit mit Beratern von außen daran. Es ist ein anstrengender Prozess für alle Beteiligten, denn er verlangt schonungslose Offenheit und Darlegung der persönlichen Ziele. Aber unser Gründungsgedanke lebt bis heute. Wir hätten bei vielen Gelegenheiten zerbröselt werden können. Aber ich glaube, unser Unternehmen ist geschützt, solange wir unserer Ursprungsidee treu bleiben.“

Mehr zu den Aromaölen und der Naturkosmetik unter http://www.primaveralife.com

Pionierinnen haben es mir angetan ;-). Ein weiteres Beispiel für Visionen zu nachhaltigem Handeln findet ihr hier: https://www.strandkorb-gefluester.de/2020/04/07/die-frau-die-ein-ganzes-tal-veraendert-hat/

Mehr zu meiner Reise nach Korsika: Demnächst unter der Rubrik Reise-Geflüster

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Nicola Sieverling: Und endlich hat sich getraut

Nicola Sieverling lernte ich kennen, als ich die Geschichte einer großartigen Freundin für ein Frauen-Magazin aufgeschrieben habe. Diese Freundin und Kollegin erkrankte mit Anfang 30 während der Schwangerschaft an Brustkrebs. Und Nicola betreute die Öffentlichkeitsarbeit für die Klinik, in der meine Freundin behandelt wurde – erfolgreich, wie es zunächst schien. Doch drei Jahre nach der Geburt ihrer Tochter kam der Krebs zurück, K. starb und hinterließ ihre kleine Tochter und ihren Mann.
Mit Nicola verband mich ein lockeres berufliches Band. Erst jetzt, als sie nach Ostholstein zog, haben wir uns nach vielen Jahren zu einem Strandkorb-Geflüster wiedergetroffen. Und es war beinahe so, als hätten wir uns erst gestern gesehen.

Nicola Sieverling arbeitete lange Jahre als erfolgreiche PR-Beraterin – bis sie ihr Leben von Grund auf umkrempelte. Ihre Erfahrungen und ihr Wissen hat sie nun als Autorin veröffentlicht. Heute hält die Job-Expertin Vorträge und gibt Seminare zum Thema (Foto: Kailash)

Nicola, du findest: Das Leben ist zu kurz für den falschen Job. Woran hast du selbst gemerkt, dass dein früherer Job nicht der richtige für dich ist?

Das war ein wirklich langer Prozess. Ich habe sehr viele Jahre meine PR-Agentur in Hamburg geleitet. Mir gefiel der Erfolg und auch das schicke Büro an der Alster. Obwohl ich zwei Mitarbeiterinnen hatte, befand ich mich in einer Wiederholungsschleife aus Verpflichtungen und Dauerpräsenz. Ich war nur noch im Außen, aber nicht mehr bei mir. Fünf Hörstürze hätten ein Warnsignal sein müssen, ich habe sie ignoriert. Erst als ich die Diagnose Brustkrebs bekam, konnte ich diesen Signalen nicht mehr ausweichen. Ich war vom Schicksal gewissermaßen gezwungen worden, mich zu entscheiden: für ein gut gefülltes Bankkonto oder Gesundheit und Lebensfreude. Seither kann ich nur jedem raten: Schiebt eure ersten Schritte hin zu einer Veränderung nicht auf – ob privat oder im Job.

Manche von uns hat wohl schon gedacht: Ach, ich könnte mir durchaus etwas anderes vorstellen … Ist das ein Grund, den Job gleich hinzuwerfen?

(Lacht) Keinesfalls! Aber wenn der Frust beginnt zu nagen und dieser Gedanke immer wiederkehrt, ist das ein Zeichen dafür, dass eine Veränderung ansteht. Allerdings lassen wir unser Sehnsuchtsmodell am Ende doch in der Schublade, weil sich in die Idee, es könnte Erfüllenderes geben, Zweifel und Unsicherheit mischen. Und oft ist die Angst vor dem Neuen größer als die Unzufriedenheit. Aber warum sollten wir in einem Job ausharren, der uns weder Erfüllung noch Lebensfreude bringt?

Woher weiß ich denn, ob es sich bei meinem Wunsch nach Veränderung nicht einfach um eine fixe Idee handelt?

Indem ich auf meine Herzensstimme höre. In der alltäglichen Routine meldet sie sich meist nur leise, aber bei Spaziergängen im Wald, einer Wanderung an der Küste oder in den Bergen hören wie sie deutlicher. Solche Mini-Auszeiten wirken Wunder. Und sie ermutigen uns, unserem Bauchgefühl und unserer Intuition zu vertrauen.

Du stellst in deinem Buch lauter tolle Menschen vor, die sich selbstständig gemacht haben. Aber ist es nicht Luxus – und vielleicht sogar leichtsinnig –, sich ausgerechnet zu Corona-Zeiten nach Alternativen umzuschauen und vielleicht sogar eine Festanstellung aufzugeben?

Wenn uns die vergangenen Monate etwas gelehrt haben, dann doch dies: Nichts, was wir für sicher hielten, ist von Bestand. Diese Krise hat vielen auch gezeigt, dass es Beglückenderes gibt als das Ausharren in einem ungeliebten Job. Andere haben ihren Job verloren und wollen sich neu orientieren. Die Chance für eine Veränderung war möglicherweise nie so groß wie jetzt. Das haben uns nicht zuletzt die vielen kreativen Initiativen gezeigt, die in dieser Zeit entstanden sind.

Welche Erkenntnis war für dich, und vielleicht sogar für Menschen, die du coachst, die wichtigste beim Neustart?

Wenn man einmal den Mut aufbringt, die Routine in Frage zu stellen, die Komfortzone zu verlassen und eintaucht in das Leben und seine Möglichkeiten, ist das ein fantastisches Gefühl. Denn neue Erfahrungen füllen das Selbstfreude-Konto, egal, in welcher Lebensphase wir uns gerade befinden. Denn wir haben nur dieses eine Leben und wir selbst dürfen es in die Hand nehmen. Breiten wir doch einfach unsere Flügel aus!

Nicola Sieverling weiß, wie man fliegen lernt.
Ihr könnt das nachlesen in ihrem Buch „Plan B“,
256 Seiten, 18 Euro, kailash Verlag, ISBN: 978-3-424-63197-5.

Oder ihr nächstes Seminar in Hamburg besuchen: https://www.plan-b-sieverling.de/intensivseminar-on-tour/

Mehr zu Nicola Sieverling findet ihr auf ihrer Homepage unter
https://www.plan-b-sieverling.de

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Der Zauber des Holunders


Amely Gräfin Platen ist auf dem Friederikenhof http://www.gut-friederikenhof.de, nahe dem Weißenhäuser Strand, aufgewachsen. Ihr Vater lehrte sie viel Wissenswerte über Pflanzen, Tiere und Bäume. Der Schäfer der Familie gab ihr Einblick in die Heilkraft der Pflanzen. Und auf dem benachbarten Schloss Weißenhaus lauschte sie den Geschichten und Märchen ihres Großvaters Clemens Graf Platen. Heute ist Amely selbst ausgebildete Märchenerzählerin und Heilpflanzenexpertin

Wer mit Amely Gräfin Platen draußen unterwegs ist, betrachtet die Natur mit anderen Augen. Denn die 47-Jährige Ostholsteinerin kennt sich aus mit magischen Kräften und verborgenen Mächten, die unsere Umwelt beseelen. Während wir am Wald entlanglaufen, um einige Holunderdolden zu ernten, fliegt plötzlich ein Buntspecht auf. „Da, ein Hollen-Vogel“, sagt Amely. Und schon sind wir beim Thema. Denn der Buntspecht gilt als Göttinnenbote. Denn seine Gefiederfarben Schwarz, Weiß und Rot sind im keltischen Raum den drei Lebensstadien von Geburt, Leben und Tod zugeordnet. Und genau diese Farben finden sich auch im Holunder wieder.
Wenn man der Pflanzen- und Kräuterkundigen glauben darf, ist der Wildstrauch nicht nur ein Busch, dessen Blüten im Juni betörend duften und sich wunderbar für köstlichen Sirup verwenden lassen. Vielmehr sei er das Zuhause von Mutter Holle.
Wohl jeder kennt Frau Holle, die uns durch ausgiebiges Schütteln ihrer Kopfkissen schneereiche Winter beschert. Und auch die gleichnamige Märchengestalt, die die faule Pechmarie bestraft und die fleißige Goldmarie mit Gaben überschüttet. Für Amely von Platen geht die Bedeutung der germanische Gottheit Mutter Holle weit darüber hinaus.

Götterwohnung

Das Glück ist mit denen, die einen Hollerstrauch im Garten haben

»Der Sage nach ist Mutter Holle eine weise, gütige Frau. Von einem unterirdischen Lichtreich aus wacht sie über die Menschen und begünstigt oder bestraft ihr Tun. Mutter Holle oder Holda, wie die Germanen sie nannten, wurde als Hausgöttin verehrt und man glaubte, dass sie im Holunder lebt. Holda heißt übersetzt so viel wie die Holde, Strahlende und Gütige. Man geht davon aus, dass sich die Sagenfigur Holle aus der nordischen Göttin Frigg, entwickelte, die im Holunderbusch wohnte und von dort aus über Haus und Hof wachte. Wenn sich im Garten, vor dem Haus oder der Scheune ein Holunderbusch ansiedelte, galt das als Segensbeweis der Hausgöttin. Dort wurde er gehegt und gepflegt. Von Zeit zu Zeit trug man auch Opfergaben in die sogenannte Holler-Ecke. Die Hausfrau goss zum Beispiel regelmäßig Wasser oder Milch an die Wurzeln, um die alte Göttin gnädig zu stimmen.

… und Kultstätte

Der Holunderstrauch verspricht Gesundheit

Zu den Zeiten, als das Wünschen noch half, hängte man dem Holunder Krankheiten an. Dazu bedurfte es eines guten Reimes und tiefer Entschlossenheit, die Krankheit los zu werden. Man befestigte ein rotes Band am Ast des Hollerbusches und sagte dazu beispielsweise dieses Sprüchlein auf: „Goden Abend, Herr Fleder, hier bring ick min Feber!“ Hatte man Zahnschmerzen, ging man rückwärts aus der Stube zum Holler, während man dreimal sagte: „Liebe Hölter, leiht mir einen Spälter, den bring ich Euch wieder.“ Dann entnahm man dem Holunder einen kleinen Span, rieb ihn an der schmerzenden Stelle und steckte ihn dann wieder in die Spalte. Der Baum würde den Schmerz mit sich in die Erde hinunterziehen.

Tor zu Unterwelt

Viel Leben steckt in den tot scheinenden Ästen

Schaut man sich den Hollerbusch genau an, wirken die knorrigen Äste, die das saftige Grün tragen, wie tot. Daher gilt der Holunder nicht nur als Domizil der Hausgöttin, sondern auch als ein Tor zur Unterwelt. Und damit zum Totenreich. Starb ein Familienmitglied, trank man bei der Totenwache Holunderblütentee. Für den Sarg nahm der Schreiner mit einer Elle aus Hollerholz Maß, derweil der Tote auf dem Reisig gebettet wurde. Auch die Grabkreuze des Verstorbenen wurden oft aus dem Strauchholz gefertigt. Schlug dieses wieder aus, nahm man das als gutes Omen.
Unglück, vielleicht sogar den Tod bedeutete es, wenn man einen Holunder fällte. Musste er doch einmal entfernt werden, durften das nur Kinder und Witwen tun. Denn sie genossen das besondere Wohlwollen der Holda. Oder man kündigte die notwendige Fällung respektvoll an.«

An dieser Stelle verschweige ich mal lieber, dass ich den Holunder in meinem Garten nichtsahnend einmal radikal beschnitten. Ein Jahr hat er gebraucht, um sich davon zu erholen. Großes Unglück ist mir erspart geblieben. Wer weiß, vielleicht bin ich ja doch gesegnet … Sicherheitshalber werde ich gelegentlich mit einem Glas Milch begießen. Oder eine weiße Speise „opfern“, zum Beispiel dieses Erdbeer-Joghurt-Parfait mit Holunder https://www.strandkorb-gefluester.de/2020/06/08/naschen-unterm-hollerbusch/

Götterspeise: ein Parfait von Erdbeeren und Holunder

Mehr zu Amely Gräfin Platen unter http://www.amalind.de

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Hospiz: Den Tagen mehr Leben geben …

Als Pflegekraft und spätere Pflegedienstleiterin war Beate Rinck mit vielen Situationen konfrontiert, in denen es um das Lebensende von Menschen im Krankenhaus ging. (Mehr dazu findet ihr in dem Protokoll Die Würde des Menschen ist antastbar: https://www.strandkorb-gefluester.de/2020/05/30/die-wuerde-des-menschen-ist-antastbar/?preview=true&_thumbnail_id=973)

Ihre langjährigen Erfahrungen waren für sie Anlass, sich für die Gründung eines Hospizes im ländlich geprägten Ostholstein einzusetzen. Unterstützt durch die AktivRegion Wagrien-Fehmarn e. V. (https://ar-wf.de/home.html) gestaltete sie Arbeitskreise, in denen Mitdenker das Konzept festzurrten. Ein Jahr später wurde der Förderverein Hospiz Wagrien-Fehmarn e.V. (https://www.hospiz-ostholstein.de/) gegründet. Seither ist die Heringsdorferin in der Region unterwegs, um für ihr Anliegen zu werben. Warum sie das macht, hat sie mir beim gemeinsamen Strandkorb-Geflüster http://www.strandkorb-gefluester.de erzählt.

Beate Rinck wirbt auch in Vorträgen für die Anliegen des Fördervereins Hospiz Wagrien-Fehmarn. Das Sterben ist für manche Zuhörer ein heikles Thema, auf das sie mit Unsicherheit reagieren. Sie sagt dann meistens: „Keine Sorgen, man stirbt nicht schneller, nur weil man über den Tod spricht.“ Schon redet es sich leichter.
Liebe Beate, du machst dich für die Gründung eines Hospizes in Ostholstein stark. Was unterscheidet ein Hospiz von der Palliativstation eines Krankenhauses?

Zunächst einmal ist die Palliativstation einer Klinik eine ganz normale Station in einem Krankenhaus, also können das auch Mehrbettzimmer sein. Allerdings ist diese Abteilung personell besser aufgestellt, und die pflegerische und medizinische Versorgung ist intensiver als auf den anderen Stationen. Alle Ärzte und das Pflegepersonal haben eine palliative Zusatzausbildung. Eine palliative Behandlung im Krankenhaus bedeutet , dass dort Patienten untergebracht sind, die mit Schmerzmedikamenten versorgt  und mit ihren Symptomen eingestellt werden und mit ihrer Erkrankung durchaus noch ein, zwei Jahre leben können. Andere Patienten sind dort in den letzten Tagen oder Wochen bis zu ihrem Lebensende. Ein würdiges Ende ist dem Behandlungsteam sehr wichtig.

Und was ist das Besondere an einem Hospiz?

Die letzte Sterbephase ist ein intimer Vorgang, der von den Menschen am Lebensende sehr unterschiedlich erlebt wird, es geht um Ängste, um Sorge um die Zurückbleibenden, aber auch dem Bedürfnis nach Ruhe, Erlösung und manchmal auch noch um Klärung von Ungesagtem. Oft sind die allerletzten Tage gekennzeichnet von einem hohen Schlafbedürfnis. Anders als im Krankenhaus unterstützt ein sehr persönlich gestalteter und geschützter Rahmen Sterbende darin, ihre Emotionen ausleben zu dürfen und sich vom Leben zu lösen.

Wie muss ich mir das genau vorstellen?

Im Gegensatz zum Krankenhaus bezeichne ich ein Hospiz gern als eine Art schönes Gesundheits-Hotel für Menschen in der allerletzten Lebensphase. Da dürfen persönliche Bilder an den Wänden sein, viel Farbe und Pflanzen. Dort darf gegebenenfalls sogar der geliebte Hund oder die Katze zu Besuch kommen. Vor allem aber können die Angehörigen auf Wunsch mit im Zimmer schlafen oder in einem Gästezimmer. Kurz gesagt: In einem Hospiz geht fast alles. Es ist zwar ein Ort zum Sterben, an dem das Leben aber nicht aufhört, mit allem was dazu gehört: die Angst und Tränen, aber auch die Fröhlichkeit und Freude über die Blumen oder die Enkelkinder, die zu Besuch kommen.

Das klingt beinahe so, als wäre es wie zu Hause …

Ja, zu Hause sterben zu dürfen, wünschen sich die meisten Menschen. Doch dieser Wunsch geht nur für wenige in Erfüllung. Denn je nach Schwere der Erkrankung stehen viele Fragen im Raum: Gibt es jemanden, der mich versorgen kann? Ist der Partner emotional stabil genug, um diesen manchmal schweren Weg mitzugehen? Kann ich von den Aufgaben ablassen, die im gewohnten häuslichen Umfeld zu besseren Zeiten auf mich gewartet haben? Denn bei manchen Menschen verhindert allein ein Blick in den Garten, in dem die Stauden jetzt unbedingt noch beschnitten werden müssten, das notwendige Zur-Ruhe-kommen, dass man zum Loslassen braucht. Das Unerledigte kann zur Belastung werden. Und auch die Sorge um die geliebten Menschen, die man zurücklassen muss. Im Hospiz erfahren die sterbenden Gäste aber, dass wir uns nicht nur für sie, sondern uns auch um ihre Angehörigen kümmern, auch über den Tod hinaus.

Es kommt nicht darauf an, dem Leben mehr Tage zu geben,
sondern den Tagen mehr Leben

Das Credo des Fördervereins Hospiz Ostholstein – ein Zitat von Cicely Saunders, der Begründerin der Hospizbewegung
Wie wird die Betreuung im Hospiz gewährleistet?

Die Versorgung wird von den Mitarbeitenden mit einer palliativpflegerischen Zusatzausbildung übernommen. Unterstützt werden diese von Sozialarbeit, Physiotherapie und Servicepersonal. Die ärztliche Versorgung erfolgt durch Hausärzte und Palliativmediziner. Nach ihren individuellen Behandlungsplänen orientieren sich die Pflegenden. Bei Bedarf werden ärztliche Visiten durchgeführt, eine ständige ärztliche Anwesenheit wie in Krankenhäusern ist in Hospizen aber nicht üblich. Ein ganz wichtiger Baustein sind die ehrenamtlichen Helfer und Unterstützer, ohne die die den sterbenden Menschen zugewandte Arbeit kaum zu leisten ist.

Was macht nach deiner Erfahrung den Menschen das Sterben leichter?

Schmerzfreiheit und Freiheit von quälenden Symptomen wie Angst, Luftnot oder Erbrechen. Die Lieblingsmusik. Ein Blick ins Grüne. Die Gesellschaft geliebter Menschen oder ihrer Tiere. Wohlige Kindheitserinnerungen, die als Wunsch wiederkehren, etwa nach einem Stück Erdbeerkuchen. Das Beibehalten von kleinen Ritualen – und sei es der Eierlikör am Vormittag um 11 Uhr. Ein Leitsatz der Palliativmedizin lautet: „Der Sterbende ist der Dirigent“. Also werden seine Wünsche erfüllt – auch wenn die Gäste den Kuchen dann doch nicht aufessen können oder eigentlich nur einmal am Gläschen schnuppern wollen.

Der Sterbende ist der Dirigent

Ein Leitsatz der Palliativmedizin
Um Sterbenden das zu ermöglichen, sammelt euer Förderverein Spenden. Wofür genau benötigt ihr das Geld?

Insgesamt werden ca. 4 Millionen Euro benötigt, wobei 25 Prozent bestenfalls über Fördermittel des Landes SHchleswig-Holstein übernommen werden. Der restliche Betrag muss über Spenden und Kredite finanziert werden. Von daher ist jeder Cent ein Baustein für das Hospiz.

Wo soll euer „Gesundheits-Hotel zum Lebensende“ denn entstehen?

Im östlichen Teil Holsteins sind bisher sind stationäre Hospize in Kiel und Lübeck zu finden. Die ländliche Region in Wagrien und auf der Insel Fehmarn, der Bereich bis Plön und nach Süden bis Neustadt sind also komplett unterversorgt. Wir wünschen uns einen Standort, der gut erreichbar ist und haben, auch in Absprache mit dem Sozialministerium, Oldenburg in Holstein in den Fokus genommen. Dort haben wir aktuell ein Grundstück in Aussicht, das ideale Voraussetzungen bietet. Es liegt am Stadtrand von Oldenburg und wäre perfekt geeignet. Es wäre groß genug, um zehn bis zwölf Gästezimmer mit Terrasse und Angehörigenapartments zu bauen und bietet einen wunderbaren Ausblick über die Wiesen. Wäre das nicht wunderbar?!

Mehr Infos zum Förderverein und Möglichkeiten zur ehrenamtlichen Mitarbeit

https://www.hospiz-ostholstein.de/

Ihr möchtet spenden?

Förderverein Hospiz Wagrien-Fehmarn e.V.

Sparkasse Ostholstein
IBAN: DE92 2135 2240 0179 2254 95
BIC: NOLADE21HOL

Volksbank Ostholstein Nord-Plön eG
IBAN: DE65 2139 0008 0000 2998 12
BIC: GENODEF1NSH

Weitere Angebote zum Hospizdienst in Ostholstein

Beistand am Lebensende, https://www.beistand-am-lebensende.de

Hospizinitiative Eutin e.V., http://hospizinitiative-eutin.org

Hospizverein Preetz e.V., https://hospizverein-preetz.de/

Hospizverein Lütjenburg e.V., https://hospizverein-luetjenburg.de

Elisabeth Krankenhaus Eutin, https://www.sek-eutin.de

SAPV im östlichen Holstein, http://sapv.online

Palliatvnetz im östlichen Holstein e.V., http://www.palliativnetz-östliches-holstein.de

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Hello again!

Jetzt ist der Mai gekommen – und wir machen uns alle wieder ein bisschen locker. Wir dürfen zum Friseur, ins Restaurant und über die Grenzen reisen … aber wir sollen um Himmels willen Abstand halten! Also keine Umarmungen, keine Küsse auf die Wangen. Vorerst jedenfalls. Denn der „Ausnahmezustand“ zeigt immer wieder, dass heute geltende Regeln, morgen schon wieder anders lauten.

Die Umarmungen werden mir also bis auf Weiteres fehlen. Es bleibt nichts außer einem breiten Strahlen, das man hinter der Mund-Nasen-Maske sowieso nicht erkennt, oder ein freundliches Winken aus zwei Metern Abstand – oder?

Vielleicht gibt es Gesten, die ohne Berührungen auskommen? Mit denen wir ausdrücken können, wie nah wir jemandem wirklich stehen? Meine Nichte Marla hätte dazu jedenfalls ein paar Ideen …

„Ich freue mich riesig, dich zu sehen!“

„Du ahnst ja nicht, wie sehr ich dich vermisst habe!“  

Und zum Abschied gibt‘s einen Luftkuss 

Allen anderen flüchtigen Bekannten, wie etwa dem Bürgermeister oder der Bürgermeisterin, begegnen wir mit dem üblichen höflichen Kopfnicken, auch kombinierbar mit einem fröhlichen „Moin!“.

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Wie Traudi Schwienbacher das Ultental verändert hat

Kräuter sind ein Lebenselixier
Foto: Mascha Lohe

Wenn Waltraud Schwienbacher aufsteht, schlüpft sie in ihre Wollschuhe und bricht zu ihrem täglichen Waldspaziergang auf. Sie pflückt unterwegs eine Handvoll Kräuter, die den Sommer überdauert haben, und braut sich, zuhause wieder angelangt, daraus einen Tee und setzt sich in die holzgetäfelte Stube des Wegleithofs in St. Walburg. Die frühe Ruhe ist ein kostbarer Moment im bewegten Alltag der 70-Jährigen, denn sie hat ihre Heimat, das Ultental in Südtirol, aus dem Dornröschenschlaf geweckt und Menschen von Ideen überzeugt, an die sie eigentlich nicht so recht hatten glauben wollen – mit unerschütterlichem Glauben und sanfter Beharrlichkeit.

In den fortschrittsgläubigen 1980er Jahren waren einige der rustikal-charmanten Bergbauernhöfe des Ultentals niedergerissen worden, um zweckmäßigen Neubauten Platz zu machen. Die Kleinbauern konnten von den Schleuderpreisen, die sie für das Fleisch und die Milch ihrer Tiere erhielten, kaum mehr leben. Die Töchter und Söhne versuchten in den Städten des Meraner Landes ihr Glück. „Niemand hier wusste mehr, welche Schätze sich unmittelbar vor unserer Haustür befanden, wie etwa die Wolle unserer Bergschafe, die zu der Zeit noch auf der Mülldeponie landeten, weil sie wertlos schien. Als ich davon erfuhr, wurde mir klar: Irgendetwas stimmt nicht an der Art und Weise, wie wir mit unseren Ressourcen umgehen“, erinnert sich Waltraud Schwienbacher und streicht eine silbergraue Strähne aus ihrer Stirn.

Singende Überredungskunst

Sie selbst war aufgewachsen mit einer Mutter, von der sie alles lernte über den Reichtum und die Heilkraft der Natur. Schon mit 12 Jahren strickte die kleine Traudi, wie sie von allen genannt wird, begeistert. Später, da war sie selbst bereits Mutter von vier Kindern, färbte sie Wolle mit Brennnessel, Malve und Zirbennadeln und beschäftigte sich eingehend mit der „Wunderfaser“, wie sie die Tierhaare nennt. „Wolle ist so etwas wie eine tragbare Klimaanlage. Sie nimmt Schadstoffe aus der Umwelt auf und neutralisiert diese. Sie fördert den Zellaufbau im menschlichen Körper und wirkt entzündungshemmend. Allein damit könnten wir unsere halbe Hausapotheke ersetzen, stattdessen blockieren wir unseren Lebensfluss durch synthetische Faserbeimischungen.“ Was kämpferisch erscheint, klingt mit Traudis melodischer Stimme so beschwörend, dass man versucht ist, den Kopf über die eigene Dummheit zu schütteln.

Die Ultener Bergschafe gehören zu Traudis Schätzen vor der Haustür
Foto: Mascha Lohe

Auf diese Weise hatte Traudi damals, vor über einem Vierteljahrhundert, wohl auch die Schafbauern dazu überredet, ihr die Schurwolle zu überlassen. Und daraus galt es etwas zu machen.
Die Visionärin versammelte eine Handvoll Menschen um sich, die wie sie selbst das bäuerliche Kulturgut bewahren wollten. Sie arbeiteten ein von der Schule bis zum Arbeitsplatz alle Lebensbereiche umfassendes Konzept aus unter dem Titel Lebenswertes Ulten. Mit dem Ziel, nur mit natürlichen Rohstoffen zu arbeiten und ihrer angestammten Heimat mehr Lebensqualität und eine Perspektive zu geben. Was nichts weniger bedeutete als den Bauern Möglichkeiten zu eröffnen, wie sie ihre hofeigenen Ressourcen optimal nutzen und sich so zusätzliche Einkünfte sichern, die Verwertung von Rohstoffen, wie Holz, Wolle und Pflanzen voranzutreiben und kulturelle Bildungsangebote zu schaffen. „Denn die Natur ist die beste Hochschule, an der wir studieren können“, ist Traudi überzeugt.

Pullover aus Abfall und Salben aus Unkraut

Verrückt sei sie geworden, die Traudi, die wolle aus Abfall Pullover stricken und aus Unkraut Salben machen – was für eine spinnerte Idee. So redeten sie, die Leute im Tal. Viel Spott und Argwohn schlug der Bergbäuerin entgegen. Wohl auch, weil sie Sätze sagte wie: „Wenn wir die Menschen zur Natur zurückführen, werden sie heiler.“ Worte, die in den Augen der meisten unverbesserlich rückständig klangen. Verspottet und ausgelacht wurde sie dafür. „Oft habe ich überlegt, ob ich alles hinschmeiße, aber am nächsten Morgen wurde ich wach und wusste: Ich muss weitermachen, das ist der richtige Weg.“
Sie kämpfte weiter, leistete Überzeugungsarbeit in der Gemeinde, begeisterte gestandene Handwerksmeister und Kräuterkundige von ihrer Idee, eine Winterschule (www.winterschule-ulten.it) zu gründen, an der die Ultener in den weniger arbeitsreichen Monaten althergebrachte Handwerke mit staatlich anerkanntem Abschluss wieder erlernen konnten.

Foto: Mascha Lohe

Es waren vor allem die Jungen, die Traudis Visionen folgten, wie zum Beispiel die Dorothea Egger. Die 47-jährige Kleinbäuerin und Mutter von sechs Kindern: „An der Traudi hat mir imponiert, dass sie anders war als alle anderen, zu dem stand, was sie sagte und sich ihre Träume nie ausreden ließ.“
Aber auch Menschen von außerhalb erkannten, was für ein Potenzial sich im verschlafenen Ulten herauskristallisierte. Als der renommierte Designer und Architekt Matteo Thun (www.matteothun.com) das Hotel Pergola (www.pergola-residence.it) in Algund plante und nach Traditionshandwerkern suchte, wurde er über die Winterschule fündig. Hier hatte der Bauer Erhard Paris das Flechten gelernt und es zur Meisterschaft gebracht. Der Star-Designer und der Landwirt gestalteten gemeinsam schwebende Trennwände für das Restaurant. Handgestrickte und pflanzengefärbte Kissen für die Residenz kamen ebenfalls aus den Werkstätten der Winterschüler. Und doch sollte es noch einmal Jahre dauern, bis die letzten Kritiker verstummten.
„An einen dauerhaften Erfolg haben nur wenige geglaubt“, sagt Traudi. Zu viert saßen sie damals in der behelfsmäßigen Schule, mittlerweile sind es Jahr für Jahr knapp 500 Absolventen. Heute wissen Bäuerinnen wieder, wie man käst. Ihre Männer drechseln, schnitzen und flechten. Junge Frauen spinnen, weben, filzen und sammeln Kräuter für heilkräftige Tees und pflegende Cremes. Sogar in den Hotels der Region hat die Natur mit ursprünglichen Produkten und naturnahen Wellnessangeboten wieder Einzug gehalten.

… und es geht weiter bergauf

Spricht man Traudi Schwienbacher auf den Erfolg ihres Lebenswerks an, klingt sie gewohnt bescheiden: „Mit dem, was wir hier tun, haben wir ja nur eine kleine Wiese geschaffen, aber es ist schon schön zu sehen, wie der Wind die Samen weiterträgt.“ 

Das Herz des Ultentals: Traudi Schwienbacher Foto: Mascha Lohe

Die Koordination der Winterschule hat sie in jüngere Hände abgegeben, an ihre Tochter Franziska. Und doch hat die Visionärin kaum eine freie Minute: Sie unterrichtet weiterhin selbst, macht Kräuterführungen, betreibt in St. Walburg ihren eigenen Hofladen namens Kräuterreich (www.kraeuterreich.com) hält Vorträge im In- und Ausland und gibt immer wieder neue Anstöße für das Generationenprojekt „Lebenswertes Ulten“. So hat sie das Wollvermarktungsprojekt Bergauf (www.bergauf.it) ins Leben gerufen. Dort werden die jährlich 90 Tonnen Wolle des Ultener Bergschafe gesammelt und nach genossenschaftlichem Prinzip weiterverarbeitet – zu Teppichen, Matratzen, Accessoires und Kleidung. Sie selbst schläft unter einer Wolldecke auf einer wollenen Matratze und kleidet sich von Kopf bis Fuß mit pflanzengefärbter Seide oder Wolle – bis hin zu den Schuhen, in die sie an jedem neuen Morgen schlüpft.

Das Ultental blüht. Immer mehr Menschen hier können wieder von ihrer Arbeit leben, weil die Natur für sie zum Handwerkszeug und zur Lebensschule geworden ist – so wie Traudi es sich erträumt hatte. Die Winterschule hat das Tal verändert, ohne Frage. Auch wenn manch ein Ultener überzeugt ist, es sei doch alles schon immer so gewesen wie es heute ist.

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Strandkorb-Geflüster

Lockdown wg. Corona.
Und nun?

Brot backe ich auch hin und wieder selbst. Ich koche auch leidenschaftlich gern. Selbst. Ansonsten brauche ich nicht so wahnsinnig viel. Außer:

  • meine Familie und Freunde, mit denen ich meine Gedanken teilen kann.
  • Restaurants, um mal eben um die Ecke essen zu gehen und in denen ich mich freundlich bedienen lassen kann.
  • das eine oder andere Glas guten Wein.
  • frische Milch, Käse und Gemüse aus der Region – zum Frühstück, Mittag, Abendbrot.
  • einen Friseurbesuch alle sechs Wochen.
  • Blumen – zu meiner Freude und der der anderen.
  • Musik, was zu lesen und zum Staunen wie Landkunststück e. V.
  • ein paar neue Socken zu gegebener Zeit.
  • Benzin fürs Auto, um hin und wieder zu schauen, was sich jenseits des Paradieses tut, in dem ich lebe.

So könnte es gehen …

Nur jetzt frage ich mich, ob es die Friseurin, den Bäcker, den Fleischer, den Landgasthof oder Griechen, das Kaufhaus, den Blumenladen, die Konzerte, die Kunst, die Magazine noch geben wird, wenn wir in drei Monaten oder irgendwann diese schwierige Herausforderung gemeistert haben werden. Es werden nicht alle von ihnen übrigbleiben.
Aber wenn wir unser Brot (zumindest meistens) wieder beim Bäcker kaufen, der Friseurin den gesparten Betrag beim nächsten Mal obendrauf legen, wie eine Bekannte vorschlug, in den Hofläden der Bauern einkaufen statt im Supermarkt, den Mittagstisch beim Schlachter im Dorf oder im Restaurant zur Außer-Haus-Lieferung bestellen und die vielen namenlosen MusikerInnen und YoutuberInnen mit einer Spende bedenken, weil sie uns kostenlos online unterhalten, beim lokalen Buchhändler online Lesestoff besorgen (statt bei Amazon), Blutspenden gehen beim DRK-Ortsverein undsoweiterundsofort, dann könnten es einige von denen, die unser bisher Leben bereichert haben, vielleicht doch schaffen.

Es trifft (fast) alle

Ich weiß, das Geld wird knapp – vor allem für kleine Unternehmen, Solo-Selbstständige und Freiberufler wie mich. Aber die Tatsache, dass wir alle im selben Boot sitzen und gemeinsam in eine Zukunft #nachCorona starten wollen, bringt uns vielleicht gemeinsam auf neue Gedanken, wie wir einander helfen können.