Sie wollten die Welt verbessern, Ute Leube und ihre Freunde. In den 1980ern gründeten sie ein Unternehmen, das ätherische Öle produziert. Bis heute ist die 68-Jährige überzeugt: wirtschaftlicher Erfolg und nachhaltiges, faires und respektvolles Handeln auf jeder Ebene schließen einander nicht aus. Der Aufstieg von Primavera Life erfolgreichen Hersteller von Aromaöl und Naturkosmetik, scheint ihr Recht zu geben. Nun stellt sich die Frage nach der Unternehmensnachfolge. Doch wie stellt man sicher, dass die gelebte Vision von potenziellen Nachfolgern gewahrt bleibt?
Inspiration aus dem Königreich
Über Korsika weht der Duft der Macchia, als ich Ute Leube treffe. Sie kommt gerade zurück aus Bhutan. Das in die Berge des Himalayas eingebettete Mini-Königreich hält das Bruttoinlandsglück seiner Bewohner für wichtiger als das Bruttosozialprodukt. Deshalb hat es vier Säulen als Staatsräson manifestiert: 1. die Förderung kultureller Traditionen, 2. den Schutz von Umwelt und Kulturlandschaft, 3. die Förderung sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Entwicklung, sowie 4. Verwaltungsstrukturen, die diesem Ziel dienen. Nur wenn alle vier Säulen gleich groß sind, lässt sich ein stabiles Haus darauf bauen, sind die Bhutaner überzeugt.
Dieser Gedanke gefällt Ute Leube. Die Mitgründerin von Primavera Life findet sich und die Unternehmensphilosophie darin wieder. Und weil sie und ihr Geschäftspartner Kurt L. Nübling die Entwicklung in Bhutan unterstützen wollen, beziehen ihr biozertifiziertes Lemongrass-Öl von einem örtlichen Projekt. Dort leisten die Bauern das, was sich die Allgäuer Bio-Pioniere vor über 30 Jahren vorgenommen hatten: beste Bio-Aromaöle aus Wildsammlungen oder nachhaltigem Anbau erzeugen, und das bei fairer Bezahlung. Denn nur so kann die Welt gerechter werden. Und besser.
Norddeutsche Seele auf Erkundungstour
Ute Leube ist größer als die meisten Frauen ihrer Generation. Das silberne Haar trägt sie kurz geschnitten, die Kleider fallen weit und weich. Eine typisch Norddeutsche würde man denken. Wäre da nicht ihre leise Stimme und der tastende, beinahe tänzerische Gang. Aufgewachsen ist sie nahe Bremen. Sie ist ein stilles Kind, „unsicher, schüchtern, nicht wissend, wo mein Platz ist auf dieser Welt“, wie sie sagt. Nach dem Abi und ihrer Ausbildung zur Medizinisch-technischen Assistentin zieht sie nach Göttingen. Sie studiert Landwirtschaft und geht mit ihrem damaligen Freund für ein Jahr in die USA. Die indianische Kultur zu ganzheitlichem Heilen inspiriert sie derart, dass sie ihr Interesse an westlicher Medizin verliert. Doch egal, wo sie ist, am wohlsten fühlt sie sich in der zweiten Reihe. Oder lieber noch weiter hinten, da wo man unsichtbar bleibt und dennoch Gutes bewirken kann.
Entdeckung der Aromaöle
In München zieht sie in eine WG, zusammen mit ihren Mitbewohnern betreibt sie einen Naturkostladen. Ihr Sohn wird geboren, sie trägt ihn in einem Tuch auf dem Rücken während sie Kisten schleppt und Kartoffeln eintütet. Es ist ein gutes Leben, gespeist aus ökologisch erzeugten Nahrungsmitteln – es hätte gern so weitergehen können. Aber dann kam dieser Tag, der alles veränderte. „Unser Gemüsehändler brachte ein kleines Fläschchen mit Rosmarin-Öl mit, das angeblich wahre gesundheitliche Wunder bewirken sollte. Mir als Hardcore-Naturköstlerin kam es seltsam vor, Pflanzendüfte zu destillieren und sie in einen Flakon zu sperren. Aber meine Neugier siegte“, erinnert sie sich.
Vom Aufstieg und Abschieden
Ute Leube will mehr darüber erfahren. Sie belegt Mitte der 1980er-Jahre einen Kurs bei der damals führenden Aromatherapie-Expertin Susanne Fischer, spätere Fischer-Rizzi. Hier trifft sie auf Kurt L. Nübling, einen der Mitgründer des Seminarhauses. „Hier verstand ich, dass meine Nase nicht nur zum Ein- und Ausatmen da ist. Die größte Entdeckung aber war, welch heilsame, pflegende Wirkung Pflanzen auf Seele und Haut haben.“ Am Küchentisch beginnen Leube, Nübling und Fischer zu spinnen, wie man das Wissen mit anderen Menschen teilen könne. „Aomatherapeutische Öle waren nichts Neues. Aber wir wollten sichergehen, dass unsere Öle naturbelassen sind und wissen, wie sie hergestellt werden“, erinnert sich Ute Leube. „Gleichzeitig wollten wir soziale Projekte in den Anbauländern unterstützen.“ Ab jetzt kennt die Kreativität der drei keine Grenzen mehr. Während Nübling mit Alabaster-Lampen und experimentiert, koordiniert Ute Leube die Kooperation mit Anbaupartnern. Und die in der Szene bekannte Susanne Fischer-Rizzi ist das Gesicht nach außen.
Ute Leube: Die Frau aus der zweiten Reihe
Im Frühjahr 1986 wird Primavera offiziell gegründet. Das junge Unternehmen präsentiert sich auf der Edelstein-Messe in Idar-Oberstein. „Das war ein kolossaler Erfolg! Mit einem Schlag hatten wir 250 Therapeuten-Adressen“, sagt Ute Leube. Darauf konnten sie und ihre Mitstreiter aufbauen. Während ihre Kinder schlafen, packt Ute Leube Päckchen, die Kartons kommen gebraucht aus dem Supermarkt. Das Start-up geht durch die Decke. Eine Weile lang funktioniert das Triumvirat prima. Doch in dem Haus, an dem sie gemeinsam bauen, verschiebt sich die Statik. Es knirscht gewaltig, Fischer-Rizzi steigt aus. Übrig bleiben Nübling und Leube.
Ute Leube kümmert sich fortan weiter um die Prozesssteuerung, den Einkauf, den Kontakt zu den Anbaupartner und die Produktentwicklung und findet sich, öfter als ihr lieb ist, hinter dem Schreibtisch wieder. Kurt L. Nübling, ein charismatischer Visionär und leidenschaftlicher Entdecker, widmet sich dem Marketing. Er in der ersten, sie in der zweiten Reihe – die perfekte Rollenverteilung, um den Markt mit hochwertigen Aromaölen und Naturkosmetik zu erobern.
Geld? Für Primavera das Mittel zum Zweck
„Wir haben Primavera gegründet aus der Begeisterung für unsere Produkte und für die Art und Weise, wie sie entstehen. Sie haben einen Mehrwert für Bauern, Verbraucher und die Umwelt. Geht es um Strategien für die Zukunft, steht für uns im Fokus wie wir noch nachhaltiger wirtschaften können. Das Geld interessiert uns erst dann, wenn es notwendig wird“, sagt Ute Leube. Und es klingt überzeugend.
Aber so viel Idealismus muss man sich erst mal leisten können. Schon einmal hatte die kompromisslose Weltverbesserei das Unternehmen in eine heikle Schieflage bugsiert. Mitte der Nuller Jahre befindet sich Primavera auf Expansionskurs und investiert kräftig in die Eroberung des US-amerikanischen Marktes. Doch die Einführung des Ratings führte zur Vollbremsung, die Banken lassen sie hängen. Ute Leube schwitzt hektische Tage und schlaflose Nächte über Finanzierungsplänen und hält den Atem an. Doch dann findet sich ein Investor und Primavera blüht auf.
Das Unternehhmen loslassen fällt schwer
Den Ruf der „durchgeknallten Öko-Spinner“ haben die Allgäuer Bio-Pioniere längst abgeschüttelt. Über 30 Jahre später gehört Primavera Life mit 200 Mitarbeitern zu den europaweit führenden Produzenten von Aromaöl und Naturkosmetik http://www.primaveralife.com. 2019 wurde es zur Marke des Jahrhunderts gekürt (https://www.deutsche-standards.de/marken/detail/primavera-144/). Das Unternehmen ist gut strukturiert – und ist seinem Grundsatz treu geblieben. Ute Leube, die 2012 zur Unternehmerin des Jahres gekürt wurde und damit ins Rampenlicht rückte, stieg ein Jahr später aus dem operativen Geschäft aus. Seither sitzt sie im Beirat von Primavera Life und denkt darüber nach, wie sie dem Entdecken und Forschen und den Begegnungen mehr Raum geben kann. Bisher schlug der Versuch fehl, komplett aus dem Geschäft auszusteigen. Denn wem vertraut man ein Unternehmen an, das untrennbar verbunden ist, mit den ureigenen Visionen? „Wir waren so sehr mit dem beschäftigt, was wir tun, dass wir nicht rechtzeitig daran dachten, die Unternehmensnachfolge zu regeln“, meint sie selbstkritisch.
Erfolg hat, wer sich treu bleibt
Die Ansprüche an potenzielle Nachfolger ist hoch, mancher Versuch ist bereits gescheitert: „Wir konnten uns nicht vorstellen, dass jemand anders denkt und nicht versteht, was für uns Gründer selbstverständlich ist.“ Aber das, was sie jetzt beginnen, könnte eine Lösung sein: eine integrale Führungskultur nach dem Spiral Dynamics- Prinzip von Ken Wilber. „Dann würden in einem sich selbst regulierenden Führungskreis fünf Mitarbeiter aus unseren eigenen Reihen sitzen, die unterschiedliche Qualitäten mitbringen: Organisatoren, Visionäre, Integratoren und Akteure nach außen. Wir arbeiten derzeit mit Beratern von außen daran. Es ist ein anstrengender Prozess für alle Beteiligten, denn er verlangt schonungslose Offenheit und Darlegung der persönlichen Ziele. Aber unser Gründungsgedanke lebt bis heute. Wir hätten bei vielen Gelegenheiten zerbröselt werden können. Aber ich glaube, unser Unternehmen ist geschützt, solange wir unserer Ursprungsidee treu bleiben.“
Mehr zu den Aromaölen und der Naturkosmetik unter http://www.primaveralife.com
Pionierinnen haben es mir angetan ;-). Ein weiteres Beispiel für Visionen zu nachhaltigem Handeln findet ihr hier: https://www.strandkorb-gefluester.de/2020/04/07/die-frau-die-ein-ganzes-tal-veraendert-hat/
Mehr zu meiner Reise nach Korsika: Demnächst unter der Rubrik Reise-Geflüster